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Der Unterricht entlang den «21st Century Skills»

21.06.2023
Lehrpersonen im Kanton Basel-Stadt gestalten ihren Unterricht seit ein bis zwei Jahren anhand zu erreichender Kompetenzen für Schülerinnen und Schüler. Wo geht das gut? Wo fordert es heraus? Sechs Lehrpersonen erzählen aus ihrem Schulalltag.
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Seit dem Sommer 2021 ist der Lehrplan 21 an den Volksschulen des Kantons Basel-Stadt flächendeckend eingeführt. Es ist die Geschichte eines tiefgreifenden Wandels in der Schule: von der Orientierung an Inhalten und Wissen zur Orientierung an dem, «was Schülerinnen und Schüler am Ende von Unterrichtszyklen wissen und können sollen». So steht es in der Einleitung zum Lehrplan 21. Frühere Lehrpläne beschrieben, welche Inhalte und Themen in der Schule vermittelt werden sollten – zum Beispiel die Römer oder der Zweite Weltkrieg. Das Thema war Ausgangspunkt für die Unterrichtsplanung. Heute ist es umgekehrt: Der Lehrplan gibt zu erreichende Kompetenzen vor. Die Lehrperson wählt dann den passenden Unterrichtsinhalt, mit dem sich dieses Ziel am besten erreichen lässt.

Dieser Wandel betrifft nicht nur die Volksschulen, auch die Mittel- und Berufsschulen haben ihre Lehrpläne angepasst und unterrichten heute kompetenzorientiert. Mit der Umstellung auf kompetenzorientierten Unterricht folgen die Schulen in Basel-Stadt und in der ganzen Schweiz einem internationalen Konzept, das in vielen europäischen Ländern seit Längerem eingeführt ist. Es geht davon aus, dass die Menschen im 21. Jahrhundert vor allem die folgenden Kompetenzen brauchen, um mit der wachsenden Komplexität und dem schnellen Wandel umgehen zu können: kritisches Denken, Kommunikation, Kollaboration und Kreativität (4 K). Für die Entwicklung dieser so genannten «21st Century Skills» braucht es in der Schule andere Unterrichtsstrategien als jene, die bis ins späte 20. Jahrhundert galten.

Kompetenzorientierter Unterricht befähigt die Schülerinnen und Schüler, mit Dingen umzugehen, die sie noch nicht wissen. Sie lernen, Quellen zu suchen und zu bewerten, und entwickeln Strategien, um eine Aufgabe zu lösen und Zusammenhänge zu erkennen. Dafür braucht es wie bisher Unterrichtsinhalte und es wird auch weiterhin Wissen vermittelt. Auch das Üben ist noch immer wichtig. Aber im Zentrum stehen die Anwendung des Gelernten, das eigene Handeln und das Reflektieren des eigenen Lernprozesses.

Alexandra Binnenkade, Fachexpertin am PZ.BS und Mitglied der Arbeitsgruppe «Kompetenzorientierter Unterricht», nutzt ein Bild aus dem Fussball, um kompetenzorientierten Unterricht zu veranschaulichen: «Die Trainerin oder der Trainer vermittelt dem Team viele verschiedene Elemente des Spiels: Fitnesstraining, Spieltechnik wie Flanken oder Dribbling, Strategie oder der Umgang mit Stress und Enttäuschung. Das beinhaltet sehr viel Üben, Wiederholen und auch Theorie. Und irgendwann kommt der Match, an dem das Team all die gelernten und eingeübten Dinge zusammenbringt und anwendet.»

Wir von der Redaktion des Basler Schulblatts wollten wissen, wie Lehrpersonen aller Stufen die Kompetenzorientierung in ihren Unterricht integrieren, was funktioniert und was sie herausfordert. Die Antworten lesen Sie hier:

Ein Porträt von Baris Figen.
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Baris Figen

Klassenlehrer einer 4. Klasse an der Primarstufe St. Johann und Dozent an der PH

«Kompetenzorientierung war Teil meiner Ausbildung. Das konstruktivistische Lernverständnis gefällt mir: Ausgangslage für den Unterricht sind die Kinder mit ihrem Vorwissen und ihren Fähigkeiten. Als Lehrer gestalte ich einen Raum, der entwicklungs- und kompetenzfördernde Aufgabensets bietet, so dass die Kinder ihr Wissen selbst konstruieren können.

Ich erlebe viele Highlights im Unterricht. Auf ein Projekt blicke ich gerne zurück: Im Bildnerischen Gestalten haben wir die japanische Künstlerin Yayoi Kusama und ihre Werke kennengelernt. Von ihr inspiriert, malten die Kinder ihr eigenes Bild. Im Lerndialog sprach ich mit den Kindern über ihre Arbeit und ihren Lernprozess. «Beschreibe dein Bild und wie du vorgegangen bist. Wo siehst du die Verbindung zu Yayoi Kusamas Kunst in deinem Bild? Welche Ereignisse aus ihrem Leben sind dir geblieben? Weshalb diese?» Die Reflexion des eigenen Standpunktes zum Lerngegenstand ist ein bedeutender Bestandteil meines Unterrichts.

Den Lerndialog mit den Schülerinnen und Schülern nehme ich als Grundlage für eine spätere Bewertung. Eine solche Art der Bewertung braucht viel Planung und Absprache im Team, denn ich muss die Kinder aus ihrem Unterricht holen. Dafür ist eine gemeinsame Haltung des Teams zu kompetenzorientiertem Unterricht sehr wichtig.»

Ein Porträt von Cristine Stössler.
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Cristine Strössler

Lehrerin für Praxis im Schwerpunkt Organisation am Zentrum für Brückenangebote 

«Der Schwerpunkt Organisation umfasst die Arbeitsfelder Wirtschaft, Marketing und Kommunikation. Mein Teil ist die Praxis: An einem halben Tag pro Woche arbeite ich mit der ganzen Klasse an einem Projekt. Das kann die Organisation eines Events sein oder die Entwicklung eines Produkts, das wir dann vermarkten. Mein Fokus liegt auf den grundlegenden überfachlichen Kompetenzen: Leistungsbereitschaft, Ausdauer, Pünktlichkeit, Zusammenarbeit, Sorgfalt, Freundlichkeit, Selbstreflexion.

Am Anfang des Schuljahres erstellen die Lernenden ein Kompetenzprofil für ihren Wunschberuf. An diesen Kompetenzen arbeiten wir dann. Auf einem Reflexionsbogen können die Lernenden jede Woche ihre eigene Entwicklung nachvollziehen.

Es ist für sie ungewohnt, dass nicht alle an derselben Aufgabe gemessen werden. Aber ich will möglichst nahe an einer betrieblichen Praxis sein. Im Betrieb arbeiten auch alle an unterschiedlichen Aufgaben und tragen ihren Teil zum Ganzen bei. So auch bei uns: Die Lernenden bedrucken nicht einfach ihr eigenes T-Shirt und erhalten dafür eine Note, sondern die Klasse organisiert und bedruckt gemeinsam T-Shirts für die ganze Schule. Das braucht einen langen Atem. Aber es ist höchst befriedigend – für die Lernenden und für mich.»

Ein Porträt von Beat Stauffer.
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Beat Stauffer

Bildungsgangleiter Polygraf/in EFZ und Lehrer, Schule für Gestaltung Basel

«Bis Ende des letzten Schuljahres waren die Lernenden im 1. Jahr an drei Tagen pro Woche bei uns im Fachunterricht. Deshalb konnten wir schon immer fächerübergreifend an Projekten arbeiten. Als 2022 der neue Bildungsplan mit der Kompetenzorientierung zu uns kam, war die Umstellung also nicht so gross. Wir vernetzen die Fächer heute aber bewusster.

Die grösste Veränderung war vielleicht diese: Aus dem reinen Wissensvermittler, der ich einmal war, ist mehr ein Coach geworden. Ich musste ziemlich viel von meinem Fachwissen loslassen, das nicht mehr im gleichen Mass gefragt ist. Ich muss heute im Unterricht mehr verschiedene Wege zulassen, wie und in welchem Tempo die Lernenden eine Aufgabe lösen können. Das verlangt von mir sehr viel mehr Vorbereitung. Dafür braucht mich die Klasse im Unterricht manchmal nur punktuell. Natürlich muss ich die Arbeiten überprüfen und Feedback geben.

Mir geht es mit dieser Art des Unterrichtens besser. Früher musste ich alles wissen. Heute sind eher meine methodisch-didaktischen Fähigkeiten gefragt. Auch die Zusammenarbeit mit meiner Kollegin ist noch enger geworden. Wenn du von der reinen Wissensvermittlung wegkommen und die Lerninhalte vernetzen willst, kommst du gar nicht um Zusammenarbeit herum.»

Ein Porträt von Samuel Frey.
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Samuel Frey

Lehrer für Biologie und Chemie am Gymnasium Leonhard

«An den Gymnasien findet seit über 20 Jahren eine Verschiebung von der Wissensfokussierung auf die Kompetenzorientierung statt. Dabei geht es vor allem darum, was man weshalb lehren soll. Deshalb war die Verankerung der Kompetenzorientierung in den Lehrplänen für uns keine Überraschung und auch keine Revolution, sondern eher ein weiterer Schritt in der eingeschlagenen Richtung.

Am Gymnasium Leonhard haben wir uns intensiv mit der Lehrkunstdidaktik nach Martin Wagenschein befasst, also zum Beispiel dem Unterrichten anhand von Phänomenen, die gemeinsam mit der Klasse erforscht werden. Dieser Ansatz hat einige Parallelen mit den Zielen der Kompetenzorientierung und hat meinen Unterricht inspiriert und verändert, schon bevor die Kompetenzorientierung offiziell eingeführt wurde. 

Ein Beispiel aus der Chemie: Der Einstieg in den Chemieunterricht am Anfang des Gymnasiums ist ein heikler Punkt. Chemische Reaktionen zu verstehen bedingt die abstrakte Vorstellung des atomaren Aufbaus der Materie. Die Fähigkeit, abstrakt zu denken, ist aber bei den Schülerinnen und Schülern in diesem Alter sehr unterschiedlich ausgebildet. Ich laufe Gefahr, einen Teil der Klasse gleich zu verlieren. Also beginne ich phänomenorientiert mit einer brennenden Kerze: An ihr kann man Prozesse beobachten und beschreiben, Fragen stellen und Schlussfolgerungen ziehen – ohne den Aufbau der Materie schon zu kennen.» 

Ein Porträt von Rahel Sollberger-Sprecher.
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Rahel Sollberger-Sprecher

Kindergartenlehrperson an der Primarstufe Bläsi und Kursleiterin am PZ.BS für den ersten Zyklus

«Vorschulkinder lernen vor allem über das eigene Tun – deshalb war der Unterricht im Kindergarten schon immer kompetenz- und handlungsorientiert. Durch die Verankerung im Lehrplan 21 einerseits und mein bewusstes Fokussieren darauf in der Unterrichtsvorbereitung andererseits hat sich das noch verstärkt. Meine Einleitungen in ein Thema sind viel kürzer geworden. Insgesamt habe ich meinen Sprechanteil im Verlauf der Jahre um die Hälfte reduziert!

Um ein Kind ins Handeln führen zu können, muss ich wissen, wo es in seiner Entwicklung gerade steht. Deshalb geht für mich Kompetenzorientierung Hand in Hand mit individualisiertem Lernen. Ich arbeite heute viel mehr in Kleingruppen.

Eine weitere Veränderung: Früher habe ich mit dem Bild eines Apfels begonnen, heute bringe ich einen Apfel mit. Wir schneiden ihn auf und essen ihn, so dass die Kinder mit allen Sinnen beteiligt sind.

Gestern waren wir im Münster, haben die Türme erklommen und die Stufen gezählt. Die Kinder haben erlebt, wie hoch das Münster ist, und gehend das Zählen geübt. Nach dem Erleben werden wir zum selbständigen Arbeiten übergehen und das Münster malen, basteln, bauen. Jedes Kind wird seine Erfahrungen in 2D und 3D umsetzen, jedes nach seinen Fähigkeiten.»

Ein Porträt von Laurence Prandstätter.
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Laurence Prandstätter

Lehrerin einer 3. Klasse im Atelier an der Sekundarstufe Theobald Baerwart

«Das Vermitteln von Kompetenzen, insbesondere der überfachlichen, hat mich schon immer interessiert. So habe ich Weiterbildungen zu Lerncoaching und zum Integrieren überfachlicher Kompetenzen in den alltäglichen Unterricht gemacht.

Ich versuche, den Schülerinnen und Schülern möglichst viel Lernzeit einzuräumen, in der sie selbst aktiv sind. Im Vergleich zu früher bin ich mutiger geworden, sie mehr in die Verantwortung zu nehmen. Im ERG-Unterricht zum Beispiel übten wir Philosophieren unter meiner Anleitung. Mein Ziel war, dass sie eigenständig in Kleingruppen philosophische Gespräche führen können. Gemeinsam definierten wir verschiedene Rollen: Moderator/in, Regelwächter/in, Berichterstatter/in. Für jede Rolle trugen wir Aufgaben und Hilfestellungen zusammen und verfassten eine Karte. Damit konnten die Schülerinnen und Schüler selbständig arbeiten. Auch in anderen Fächern sind solche Rollenkarten eine Möglichkeit, überfachliche Kompetenzen und selbstgesteuertes Lernen zu fördern.

Während ich früher vor allem den Inhalt und die didaktischen Formen vorbereitet habe, konzentriere ich mich jetzt darauf, welche fachlichen und überfachlichen Kompetenzen sich mit den Inhalten verbinden lassen. Auch lege ich mehr Gewicht auf das gelenkte kooperative Lernen. Ich gebe mehr Hilfsmittel, damit die Schülerinnen und Schüler eigenständig arbeiten und sich von mir lösen können.»

Text: Janine Kern und Claudia Bosshardt, Fotos: Grischa Schwank

Unterstützung für Lehrpersonen

Inzwischen gibt es für alle Fachbereiche Lehrmittel, die kompetenzorientiert aufgebaut sind, und im Internet ist eine Fülle von Unterrichtsmaterialien zu finden. Diese sind jedoch sorgfältig zu prüfen, denn nicht alle halten, was sie versprechen. Die Lehrpersonen müssen sich in dieser Fülle aber nicht allein zurechtfinden: Im Kursportal des PZ.BS findet man auf einen Klick aktuelle Weiterbildungen, die auf die Anforderungen des Lehrplans 21 zugeschnitten sind. Die Fachexpertinnen und Fachexperten des PZ.BS bieten auch niederschwellige Einzel- oder Teamberatungen zu konkreten Unterrichtsfragen. 

Links und Materialien:

Weiterbildung: https://kurse-pz.bs.ch

Fachberatung: https://www.edubs.ch/unterstuetzung/beratung-lp/fachberatung/team-fachberatung

Mit dem Fächer «Kompetenzorientiert Unterrichten» haben Fachexpertinnen und Fachexperten des Pädagogischen Zentrums PZ.BS ein Hilfsmittel entwickelt:

Wie kann man gleichzeitig den Überblick behalten und den Fokus auf einzelne Aspekte schärfen? Fachexpertinnen und Fachexperten des Pädagogischen Zentrums PZ.BS stellen ihr Hilfsmittel vor: https://www.edubs.ch/publikationen/baslerschulblatt/artikel/den-ueberblick-behalten-und-den-fokus-schaerfen

 

 

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