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Die dunkelste Stunde des WG

06.02.2023
Wie sieht der Schulalltag aus, wenn es plötzlich keinen Strom mehr gibt? Diese Frage könnte man in der Theorie unendlich langfädig diskutieren. Auf dem Areal des WG hat man einen anderen Weg gewählt und kurzerhand einen Vormittag lang den Strom abgeschaltet.
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Dunkel: In den Gängen des Schulhauses verliert man beinahe die Orientierung. Foto: Myblueplanet

Die Schülerinnen und Schüler merken an diesem Donnerstagmorgen im Januar sehr rasch, dass etwas nicht stimmt. Das Areal liegt im Dunklen, man verliert auf dem Weg ins Klassenzimmer beinahe die Orientierung in den Gängen. Einzig die grünen Notfallschildchen leuchten noch im Haus. Die Bandbreite an Reaktionen reicht von verwirrt über belustigt bis hin zu einem leisen «s isch also schon e biz unhaimlig.»

Konrektor Stefan Binkert beobachtet das Treiben interessiert. Er war es, der mit seinem Team die Idee zum Experiment hatte. Zusammen mit einer externen Agentur organisiert man aktuell das erste Jahr eines vierjährigen Programms, das die Schülerinnen und Schüler zu klimarelevanten Themen sensibilisieren soll. Am Schluss erhält die Schule ein Klima-Label und das Thema Nachhaltigkeit ist langfristig im Schulalltag verankert.

Die Auswirkungen eines Blackouts

Die 1. Klasse der Wirtschaftsmittelschule hat inzwischen den Weg ins Klassenzimmer gefunden, hier werden sie von Lehrer Stefan Rüegger begrüsst. Er erklärt kurz, aber deutlich, dass heute kein Strom zur Verfügung steht. Und dann beginnen die Diskussionen, was ein Stromausfall für den Start des Unterrichts für Auswirkungen hat. «Wer wurde heute mit dem Handywecker geweckt», fragt Rüegger ins weite Rund. Praktisch alle Hände schnellen in die Höhe. «Das ist am ersten Tag eines Stromausfalls noch kein Problem. Doch was, wenn das Handy keinen Akku mehr hat?» Die Schülerinnen und Schüler blicken sich an und können sich diesen Umstand gar nicht so recht vorstellen. Irgendwann sickert bei einem Schüler die harte Realität durch. «Jä, denn ka me am Moorge jo nümm emoll game!?» Alle lachen. «Ich brauche am Morgen immer einen Kaffee», erzählt Lehrer Stefan Rüegger nun. «Das konnte ich heute vergessen, die Maschine funktionierte nicht.»

Die Klasse bekommt nun ein Blatt ausgehändigt, das man lesen muss. Einfacher gesagt, als getan. Doch weil man sich am ersten Tag eines Blackouts befindet, drückt der Lehrer ein Auge zu. Handykameras sind erlaubt.

Lehrpersonen waren informiert

Konrektor Stefan Binkert hat unterdessen ein paar Medienschaffende in einem Raum versammelt und erklärt zusammen mit Mitarbeitenden der externen Agentur, wie die Planung für den Tag verlief. Die Lehrpersonen habe man ein paar Tage vor dem Blackout-Day informiert. Die grosse Mehrheit habe sich sehr interessiert auf das Experiment eingelassen. Einige werden an diesem Morgen sogar die Handys der Schülerinnen und Schüler einsammeln, damit die Situation möglichst realistisch abläuft.

Bevor man sich bei der Agentur für das vierjährige Programm bewarb, wollte die Schulleitung zuerst die Meinung des Kollegiums abholen. Dort kam heraus, dass rund 80 Prozent der Lehrpersonen etwas Grösseres zu den Themen Klima und Nachhaltigkeit machen wollten. Ein Programm, das länger dauert und aus einem Guss kommt. Und auch die Schülerinnen und Schüler waren sofort dabei. «Ich fand das interessant und wichtig, denn als Wirtschaftsschule wirst Du ja nicht als Erstes mit diesen Themen assoziiert», erinnert sich Stefan Binkert. Die Zusammenarbeit mit der Agentur habe für die Schulleitung ganz praktische Vorteile. «Wir können uns auf den Schulalltag konzentrieren, die Agentur sorgt für die Vorbereitung», so der Konrektor.

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Erfinderisch: Die Schülerinnen und Schüler lesen mit Hilfe von Handykameras. Foto: Myblueplanet

Das Blackout-Day ist inzwischen in vollem Gange. Noch immer herrscht überall Dunkelheit, das erste Tageslicht meldet sich jedoch am Horizont an. Lehrer Jonas Schwarz steht vor seiner 2. Gym-Klasse, an Bildnerisches Gestalten ist momentan aber nicht zu denken. Immerhin, man hat Kerzen organisiert. Die Klasse drängt sich dicht um die Lichtquelle, damit die Schülerinnen und Schüler ihre Blätter lesen und beschreiben können. Hier findet gerade eine Diskussion statt, wie das früher wohl war, als man ohne Strom auskommen musste. «Die haben sicher einen Haufen Bücher gehabt, denn die funktionieren ja auch ohne Energie», lässt ein Schüler seinen Gedanken freien Lauf. Die Klasse überlegt als nächstes, wie sie ein Handout ganz ohne Strom gestalten soll.

Ilona Meili ist bei der Agentur Myblueplanet zuständig für das Programm «Klimaschule». Sie hat schon viele dieser Blackout-Days mit Schulen organisiert und beobachtet nun die Vorgänge am Wirtschaftsgymnasium aufmerksam. «Unser Programm lässt sich auf alle Schulstufen anpassen, es kann sich jeder bei uns melden. Die Grösse der Schule oder die Infrastruktur spielen keine Rolle», erklärt Ilona Meili. Eine Schule bekomme in der Umsetzung auch Freiheiten. Beim Blackout-Day in Gossau zum Beispiel, da wussten weder Lehrpersonen noch die Klassen von der Inszenierung, bis zur Auflösung glaubte man wirklich an einen richtigen Stromausfall. Was ihr weiter auffällt: «Hier im WG ist es nicht ganz so dunkel wie an anderen Schulen. Die Notausgangschildchen sorgen für schummriges Licht.» Dies sei an kleineren Schulen an anderen Orten anders, so die Projektleiterin.

Auflösung zum Schluss des Morgens

Ilona Meili macht sich jetzt auf den Weg in die Aula. Dort kommt es zur grossen Auflösung. Das Licht wird wieder angestellt, und die Schulleitung löst zusammen mit dem Team der Agentur die Inszenierung auf. Die Schülerinnen und Schüler erfahren hier, was die Idee hinter der Aktion ist. Es werden Verbindungen zu Themen wie Klimawandel und Ressourcenmanagement gezogen. Was man am heutigen Tag nicht näher erklären muss: Wie abhängig wir alle vom Strom sind und dass es wichtig ist, mit der wertvollen Ressource sparsam umzugehen. Die Schülerinnen und Schüler lauschen aufmerksam, nicht ohne ab und zu einen erleichterten Blick aufs Handydisplay zu werfen.

Simon Thiriet

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