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Wer unterrichtet hier?

15.02.2023
Enes geht in die 3. Klasse der Sekundarschule Bäumlihof und fängt nach seinem letzten Jahr an der Volksschule eine Lehre an. Als er das Bild des Klassenzimmers sieht, sucht er sofort nach dem ersten Anhaltspunkt, an dem er sich orientieren kann.
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Ein Schüler rät

«Als Allererstes sehe ich, dass dieses Klassenzimmer sehr gross und geräumig ist. Als Nächstes fällt mir auf, dass es zwei grosse Tische gibt im Klassenzimmer. Um diese Tische herum sehe ich viele Stühle. Diese Tische – ich glaube, man nennt sie Tischinseln – sind sicher dafür gedacht, um in grösseren Gruppen zu arbeiten, da man schön um diese Tische herumsitzen und sich somit besser in der Gruppe besprechen kann. Als Nächstes sehe ich im Hintergrund an der Wand weisse Tafeln. Für mich sieht es aus, als ob Bilder auf diesen weissen Tafeln hängen oder kleben. Vermutlich sind das gezeichnete Bilder oder Fotos. Möglicherweise wurden die Bilder und Fotos von den Schülerinnen und Schülern gemacht. Zudem sehe ich rechts auf dem Bild einen Computer mit einem Visualizer davor. Und oben sieht man einen Beamer. Ich merke gerade, dass ich etwas übersehen habe: Denn auf und hinter der Tischinsel in der Mitte sehe ich viele Bücher liegen. Für mich sehen die Bücher wie Geschichtsbücher aus. Zusätzlich ist auf der Tischinsel eine Box. Es sieht aus, als ob diese Box voll mit Farbstiften und Scheren, also Material für Bildnerisches Gestalten, ist. Ich glaube, dass die Lehrperson in diesem Klassenzimmer eine Frau ist. Ich glaube das, weil dieses Klassenzimmer sehr ordentlich und schön aufbereitet aussieht. Meiner Erfahrung nach ich das viel öfter bei Lehrerinnen der Fall als bei Lehrern. Ich glaube auch, dass die Lehrerin in diesem Klassenzimmer entweder Bildnerisches Gestalten oder Geschichte unterrichtet. Bildnerisches Gestalten wegen den Bildern und der Box voller Material – und Geschichte wegen den Büchern. Es fällt mir jedoch schwer, mich zu entscheiden – ach, ich sage, dass die Lehrerin Bildnerisches Gestalten unterrichtet. Das ist meine Vermutung.»

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Im Unterricht von Esther Hiepler steht im Vordergrund, sich auf den kreativen Prozess einzulassen.

Enes vermutet, dass eine Frau in diesem Zimmer Bildnerisches Gestalten unterrichtet – und liegt damit richtig: Esther Hiepler (56) ist bildende Künstlerin und inspiriert seit fast 20 Jahren Schülerinnen und Schüler im Teilzeit-Vorkurs der Schule für Gestaltung (SfG). Sie vermittelt dort zeitgenössische Kunst im Modul «Methoden/ Konzepte/ Praxis». Ausserdem unterrichtet sie «Zeichnerische Experimente» im Angebot Öffentliche Weiterbildungskurse.

Obschon im Unterrichtsraum von Esther Hiepler keine Pinsel rumliegen und es nicht nach frischer Farbe riecht, wird schnell klar, dass hier kreativ gearbeitet wird. Auf den zusammengestellten Tischen im Atelierraum liegen Kunstbücher, und an den Wänden stehen Rahmen mit Werken in der Entstehungsphase. Hier wird nicht im klassischen Sinn gebüffelt und die Schulbank gedrückt, sondern vor allem experimentiert und kreiert.

Der Teilzeit-Vorkurs ist die Vorbildung für Berufe und Studiengänge aller gestalterischen Richtungen. Der Bildungsgang kann berufsbegleitend absolviert werden, dauert zwei Jahre und besteht aus zehn Modulen. Esther Hiepler unterrichtet eines dieser Module. Viele Teilnehmende haben eine abgeschlossene Ausbildung hinter sich und haben zuvor schon in einem Beruf gearbeitet. Der Teilzeit-Vorkurs ist für sie entweder eine berufliche Neuorientierung oder eine gestalterische Zusatzausbildung.

Der Unterricht von Esther Hiepler ist sehr interaktiv. Der Einstieg in einen gestalterischen Prozess baut oftmals auf Anregung auf. «Wichtig ist die Auseinandersetzung mit Arbeiten anderer Künstlerinnen und Künstlern. Die vielen Kunstbücher dienen als Inspirationsquelle. Manchmal besuchen wir auch eine Ausstellung. Am runden Tisch diskutieren wir anschliessend unsere Eindrücke und Wahrnehmungen.» Alle sollen sich einbringen. Das Experimentieren mittels gestalterischer Prozesse ist ein erster zentraler Bestandteil des Moduls. In einer nächsten Phase entwickeln die Teilnehmenden dann ein eigenes Konzept, was eine Kunst für sich ist.  

Der Weg ist das Ziel

Gemeinsam mit Esther Hiepler experimentieren die Teilnehmenden während eines Semesters mit verschiedenen Methoden und Materialien. «Jeder Gestaltungsprozess beinhaltet viele einzelne Schritte: das Beobachten und Suchen, Experimentieren und Forschen. Danach folgt das Auswählen, Vertiefen und abschliessend das sorgfältig Anschauen und Diskutieren.» Obwohl anfangs unklar ist, was nach den Prozessen rauskommt, entsteht am Ende immer ein Produkt.

Bei Esther Hiepler steht im Vordergrund, sich auf den kreativen Prozess einzulassen; die Fähigkeiten, die es braucht, um daraus etwas Geplantes umzusetzen, werden während des Prozesses erlernt. Dabei entwickeln die Teilnehmenden oft eine Leidenschaft für diese Art von Auseinandersetzung. «In anderen Modulen lernen sie Techniken, wie zum Beispiel perspektivisches Zeichnen. Bei mir dürfen sie diese dann wieder über Bord werfen und das Ganze von einer anderen Seite her betrachten. Wie kann ich den Rahmen sprengen, Dinge anders denken oder mich auf neue Herangehensweisen einlassen?» Einfach ist das nicht. Entsprechende Methoden versucht Esther Hiepler durch praktische Übung und Erfahrung zu vermitteln. Beglückend ist es für sie zu beobachten, wenn die Schülerinnen und Schüler sich ganz in ihre Projekte vertiefen und ihre Arbeiten ohne Befangenheit gestalten und vorstellen können.

Wenn Esther Hiepler ihre eigene Kunst im Unterricht präsentiert, geht es nicht um ihre Person, sondern immer um den gestalterischen Prozess. In der Schule ist sie nicht nur Künstlerin, sondern auch Pädagogin und Vermittlerin. Dafür hat sie entsprechende Weiterbildungen absolviert.

Im Teilzeit-Vorkurs gibt es zwar keine Noten, sondern Testate, aber selbstverständlich wird mit den Schülerinnen und Schülern über die Qualität ihrer Arbeiten gesprochen. Ein Höhepunkt am Ende der Ausbildung ist die Präsentation der entstandenen Arbeiten in einer Ausstellung.

Text und Foto: Grischa Schwank

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