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Wer unterrichtet hier?

15.02.2022
Clara ist sechs Jahre alt und besucht die erste Klasse in der Primarschule St. Johann. Am liebsten in diesem Zimmer hat sie die gemütliche Sitzmöglichkeit links, denn die Kissen sehen so bequem aus.
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Ein Schülerin rät

«Die Buchstaben an der Wand oben haben wir auch in unserem Zimmer, mit den verschiedenen Tieren wie N für Nilpferd oder R wie Raupe. Die Bänke vor dem Fenster habe ich in meinem Klassenzimmer ebenfalls. Die auf dem Bild haben aber Löcher, das ist komisch. Ich mag die Sterne am Fenster mit den verschiedenen Farben Rot, Blau und Gelb; sie sind ganz hübsch. In dem Zimmer hat es vieles zum Spielen. Ich sehe Bälle, Bücher, einen Reifen und eine Vogelscheuche im Regal. In dem grossen Holzregal ist alles verstaut. Darin sind bunte Ordner, Bücher und Fächer in vielen Farben, alles sieht so bunt aus. Neben dem Pult und auf dem hinteren Tisch hat es Becher, aus denen man trinken kann. Ich glaub, in dem Zimmer wird Religion unterrichtet, weil man in der Religion schafft, arbeitet, spielt oder malt. Und das alles kann man in dem Zimmer. Ich mag Religion. Arbeitet hier ein Mann? Oder nein ich glaube ein Mann und eine Frau zusammen. Es ist komisch, dass es nur einen Tisch hat, das kann doch kein Klassenzimmer sein… Das Zimmer gefällt mir aber gleich gut wie meines. Weil es so viele bunte Ordner im Regal hat, glaub ich, dass das ein Zimmer der dritten Klasse ist, denn die haben schon Ordner. Ich habe bisher nur Ordner für Sprachfächer. Hm, wird auch Mathematik hier unterrichtet, da es so viele Bücher im Regal hat? Ich sehe sonst noch eine Lampe, drei Kissen und Stühle, zwei Mülleimer, Taschentücher, Schubladen, dünne Bücher, eine Tafel und Bilder von Zahlen. Ich würde gerne auf die Sitzecke liegen mit den drei grauen Kissen, dort könnte ich Pause machen!»

Aufgezeichnet von Lara Zimmermann

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Die Auflösung

Clara ist sofort aufgefallen, wie unterschiedlich die Materialien im Zimmer sind. Weil man im Zimmer Möglichkeiten zum Spielen, Malen und Lernen hat, tippte sie auf Religion. Tatsächlich handelt es sich aber um das Zimmer der Heilpädagogie am Standort Lysbüchel. 

Wenn Oliver Senn an seinem Arbeitsplatz sitzt und aus dem Fenster blickt, dann sieht er Grau. Viel Grau. Er sieht ein Industrie-Areal, das sich in Entwicklung befindet. Es werden langsam aber stetig Fortschritte gemacht, aber man braucht eine gehörige Portion Fantasie, um sich vorzustellen, wie die Umgebung in ein paar Jahren ausschaut. Im Schulzimmer selbst sieht es komplett anders aus. Hier beherrschen die buntesten Farben die Szenerie und eine Entwicklung bei den Kindern ist täglich sichtbar. Oliver Senn arbeitet als Heilpädagoge am Primarstandort Lysbüchel.

Hoch oben direkt über der Aula

«Ich arbeite integrativ und separativ», erklärt der 34-Jährige. «Nachmittags kommen die Kinder in Kleingruppen hier in die Schule, vormittags bin ich in unseren Kindergärten und den beiden 1. Klassen unterwegs.» Der abwechslungsreiche Alltag sieht man im Klassenzimmer anhand eines einfachen Umstands: Sehr viele Materialien sind in Kisten gepackt. Je nach Thema greift sich Oliver Senn eine bestimmte Kiste und bringt sie zu einem Ausseneinsatz mit.  Ein weiteres wichtiges Arbeitsutensil ist für ihn der Liftschlüssel, denn das Zimmer liegt hoch oben im Schulhaus, im 5. Stock direkt über der Aula. «Für uns ist die Situation aber super. Erstens teilen wir die Räumlichkeiten mit den DAZ-Gruppen, was einen interessanten Austausch ergibt und Zweitens ist es leider bei Schulneubauten nicht mehr selbstverständlich, dass die Heilpädagogik auf der Kindergarten Stufe eigene Räumlichkeiten hat.»  Am Standort Lysbüchel hat sich diese Situation ergeben und bietet den Kindern zusätzliche Möglichkeiten. So können Kinder die kleinere Lerngruppen benötigen oder Kinder, die im Kindergarten auf eine zusätzliche Förderung angewiesen sind, bereits vor dem Eintritt in die 1. Klasse ein wenig «Schulluft» schnuppern.

Sehr unterschiedlicher Background

Es gibt Zonen, in denen «dräggelet» werden darf. Dabei geht es natürlich nicht um einen Mobbing-Workshop, sondern um das Arbeiten mit Ton, Sand und Wasser. Dann gibt es Zonen mit Arbeitstischen. Ebenso auffallend ist die Mitte des Zimmers, wo überhaupt nichts steht. «Hier können wir auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Kindergruppen durch verschiedene grossflächige Lernangebote eingehen und auch immer wieder dem Spiel als Lernform Raum geben», erzählt Oliver Senn.  Die Schülerinnen und Schüler, die im Lysbüchel zu ihm kommen, haben sehr diverse Hintergründe. Es gibt Novartis-Expat-Familien im Quartier und es gibt Familien, die eher einen bildungsfernen Background mitbringen. «Die einen können im Alter von vier Jahren bereits bis 100 rechnen, haben aber grösste Mühe, sich auf ein Gegenüber einzulassen und Kompromisse einzugehen. Bei Anderen stellen wir fest, dass sie nur bedingt wissen, wie man die Schulwerkzeuge einsetzt.», umschreibt Oliver Senn die Bandbreite seiner täglichen Arbeit.

Ein männlicher Exot

Genial findet er, dass am Standort sehr themenorientiert unterrichtet werden kann: So bildet er Kleingruppen aus drei bis vier Kindern, bei denen das pädagogische Team ähnliche Problemfelder feststellt. «Wir schauen jede Schülerin und jeden Schüler einzeln an und identifizieren Entwicklungsfelder. Dabei hilft mir, dass ich die Kinder bereits im Kindergarten kennen lerne und sie dann während des Übertritts in die 1. Primar weiter eng begleiten kann.»

Man merkt Oliver Senn den Spass an der Arbeit deutlich an. Grosse Freiheiten gehören dazu. Die Schulleitung ist dabei offen für Inputs. Dass er als männlicher Heilpädagoge auf der Kindergartenstufe als Exot daherkommen könnte, kümmert ihn nicht. «Im Gegenteil, für viele Kinder ist es wichtig, dass sie auch in diesem Alter männliche Lehrpersonen haben. 

Simon Thiriet

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