Schwellen überwinden

Mit weichen Schlangenlinien führt Aylen Schmidt eine gusseiserne Giesskanne über die flache Aussaatschale. Das Wasser dringt feinstrahlig durch den perforierten Aufsatz der Kanne und versickert in der Erde mit dem Saatgut. Die frisch ausgebildete Gärtnerin wiederholt die Bewegung mehrfach, bis der Inhalt der Schale an ein Sumpfgebiet oder ein Moor erinnert: dunkelbraun und triefend vor Wasser.

«Es ist wichtig, dass das Wasser gleichmässig verteilt wird, damit keine Wasserblasen entstehen», erklärt ihre Arbeitskollegin Florence Höchle. Sie ist im dritten Lehrjahr als Gärtnerin (EFZ) Fachrichtung Pflanzenproduktion. Die beiden jungen Frauen leiten an diesem verregneten Morgen die Look Inside-Informationsveranstaltung in der Gärtnerei der Stiftung Lehrbetriebe beider Basel (LBB). Fünf Sekundarschülerinnen und -schüler bekommen an diesem Tag einen Einblick in das Aussähen von Saatgut, das Pikieren, das Eintopfen, und das Teilen der Pflanzen zu Stecklingen. Am Abend werden sie einen Sack aus Filz mit nach Hause nehmen, den sie selber bepflanzt haben. «Wir erhoffen uns, dass alle am Abend mit ihren Eltern über diesen Filzsack und das, was sie tagsüber gelernt haben, ins Gespräch kommen. Denn ein wichtiger Teil der Berufswahl findet am Küchentisch statt», resümiert Betriebsleiter Lukas Allemann.
Wertvoller Praxisbezug
Ein junger Mann aus der Fünfergruppe besucht die Sekundarschule Rosental. An seiner Schule sind in der 2. Klasse zwei bis drei Look Insides und ein Schnupperpraktikum von einer Woche Pflicht. «Es ist sehr wertvoll für die Jugendlichen, wenn sie möglichst früh irgendwo hineinsehen und erste Kontakte knüpfen können», erklärt Tanja Roos, die gemeinsam mit Marianne Nissen die Fachverantwortung für Berufliche Orientierung (BO) am Standort trägt. Die beiden Frauen pflegen einen engen Kontakt zu unterschiedlichen Betrieben. Für die Berufsbildungswoche im Januar konnten sie rund 20 Firmen für kurze konkrete Berufserkundungen gewinnen. «Dieser Teil der Arbeit macht grossen Spass», so Tanja Roos: «Je mehr Kontakt man hat, desto besser ist der Austausch. Wir geben auch Rückmeldung aus Sicht der Schule.» Und Marianne Nissen ergänzt: «Es ist wichtig, dass man die Schülerinnen und Schüler abholt, wenn sie noch etwas kindlich sind. Und sie nicht gleich einschränkt. Sie sollen Zeit haben, sich mit einem konkreten Beruf zu beschäftigen und sich langsam an ihre Wünsche und das, was realistisch ist, heranzutasten.»

Das Klassenzimmer als Grossraumbüro
Für den BO-Unterricht lässt die erfahrene Lehrerin ihre Schülerinnen im Klassenzimmer jeweils ein eigenes Büro einrichten. «Dieses einfache Setting signalisiert: Jetzt ist nicht mehr Schule, wir sind jetzt im Büro, also in der Arbeitswelt, und es geht um eure Zukunft. Ich bin jetzt nicht eure Lehrerin, sondern euer Arbeitscoach. Die Schülerinnen und Schüler sollen ein Gefühl dafür bekommen, dass sie verschiedene Rollen in ihrem Leben haben und nicht einfach auf den schulischen Kontext reduziert werden.»
Dabei hilft auch der BO-Shop, den das Duo im ersten Stock des Schulhauses Rosental eingerichtet hat. Zweimal pro Woche gibt es für die Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit, ohne Anmeldung dort vorbeizugehen und ausserhalb des Unterrichts konkrete Anliegen zur Berufswahl zu besprechen.
Die Eltern ins Boot holen
Die spielerische Herangehensweise und der enge Bezug zur Praxis helfen, Schwellenängste abzubauen. «Wir beobachten bei den Jugendlichen oft Angst vor einer Welt, die sie nicht kennen. Besonders deutlich wird das bei den Schülerinnen und Schülern im A-Zug. Im Skilager in der 1. Klasse haben sie uns nachts aus den Betten geholt, um zu erfahren, was da alles auf sie zukomme», erinnert sich Marianne Nissen.
Um gelungene erste Berufserfahrungen zu ermöglichen, ist die Zusammenarbeit mit den Eltern zentral. «Die Jugendlichen bringen ganz unterschiedliche Voraussetzungen mit. Wir versuchen, am Elternabend zu Beginn des 2. Schuljahrs allen Eltern klar zu machen, wie wichtig ihre Unterstützung ist. Wir müssen viel Aufklärungsarbeit leisten, nutzen die BO-Woche und das Schnupperpraktikum oder den obligatorischen Berufswahlabend am Berufsinformationszentrum (BiZ) auch dazu, die Eltern für das Thema zu sensibilisieren», erläutert die Schulleiterin Daniela Skarul.
«Es geht nicht ohne eine aktive Mithilfe der Eltern», bestätigt auch Marianne Nissen. «Wenn wir alle Schülerinnen und Schüler beim Schnupperprozess so begleiten wollten, wie sie es bräuchten, müssten wir in der Schule übernachten. Unsere Aufgabe ist es, die Netzwerke der Eltern zu aktivieren und Impulse zu geben.» Die Wege der Schülerinnen und Schüler hin zu einer Stelle für ein Schnupperpraktikum sähen jeweils sehr unterschiedlich aus. So habe einer ihrer Schüler, der an selektivem Mutismus leidet, für sich beschlossen, auf Telefonate oder Mails zu verzichten und direkt bei den Unternehmen, die er aus seinem Alltag kennt, vorbeizugehen. Er wurde mit einem einwöchigen Einsatz bei einem Grossverteiler belohnt. «Es ist wichtig, dass man ihnen ihre eigenen Wege lässt. Wenn sie merken, dass sich ihr Engagement auszahlt, gibt es ihnen Auftrieb.»
Broschüre Aktivitäten und Angebote zur Beruflichen Orientierung |
Einen guten Überblick über alle Angebote und Möglichkeiten mit einem Bezug zur Berufspraxis bietet die Broschüre «Aktivitäten und Angebote zur Beruflichen Orientierung an den Volksschulen der Stadt-Basel». Darin findet sich auch eine tabellarische Übersicht über alle obligatorischen und freiwilligen Angebote, die vom Kindergarten bis in die 3. Sekundarklasse reicht. Die Broschüre findet sich auf der Webseite zur Beruflichen Orientierung. |
Text: Charlotte Staehelin, Bilder: Grischa Schwank & Charlotte Staehelin (LBB)