Ein Jahr unterwegs mit Testklassen Digitalisierung / Teil 1
« Chancen und Gefahren »
Susanne Jutzeler, 1. Klasse Sekundarschule St. Alban
Mit dem neuen Schuljahr übernahm Susanne Jutzeler nicht nur eine neue P-Klasse, sondern auch eine Aufgabe, die aktueller und vielschichtiger nicht sein könnte. Mit ihrer Klasse startet sie ins Pilotschuljahr zur Umsetzung des Ratschlags Digitalisierung. Fragen rund um die Digitalisierung beschäftigen sie nicht nur innerhalb des Klassenzimmers, sondern auch in der Steuergruppe Digitalisierung. Sie wurde bewusst als «normale» Computer-Userin dafür angefragt. In der Runde sind auch IT-Cracks vertreten.
Die Geräte für die Klasse kommen voraussichtlich erst im November. Wegen Corona erfolgt die Lieferung verzögert. Die Lehrpersonen erhielten ihr persönliches Gerät kurz vor den Sommerferien statt wie geplant im Mai. «Der Lockdown war auch eine Riesenchance», so Jutzeler. «Man hatte keine Wahl und musste sich mit digitalen Themen auseinandersetzen.»
Digitalisierung gehört zunehmend zu unserer Gesellschaft. Die nötigen Kompetenzen müssen erworben und die digitalen Möglichkeiten in den Unterricht einfliessen. Die Frage ist: in welchem Ausmass? Für Susanne Jutzeler ist klar: «Es ist Fluch und Segen. Es eröffnen sich viele Chancen für uns als Pilotschule. Wir dürfen Feedback geben und das Ganze mitsteuern. Aber es besteht auch die Gefahr sich im digitalen Dschungel zu verlieren. Das Angebot an Unterrichtsmaterialien ist schlicht unüberschaubar. Das Auswählen von guten Materialien im digitalen Raum ist extrem herausfordernd und zeitaufwändig.» Die Lehrpersonen müssen einen sinnvollen Weg finden. Die Geräte sollen bereichern und keinesfalls bloss einen 1:1-Ersatz für ein Arbeitsblatt sein.
Die digitale Umsetzung sei permanent im Hinterkopf, wenn Susanne Jutzeler eine Lektionen vorbereit. Im Sprachunterricht müsse man künftig nicht mehr zu fünft um einen Laptop herumsitzen. Bald haben alle ihr eigenes Gerät und können beispielsweise verschiedene Hörbeispiele in unterschiedlichem Tempo anklicken. Der Unterricht kann so noch individueller gestaltet werden.
Jacqueline Visentin
«Positive Erfahrungen im Fernunterricht»
Thomas Biehler, Zentrum für Brückenangebote Gundeldingen
In «Neuland» vorzustossen, gehört – wie man spätestens seit dem gleichnamigen Dokumentarfilm über die Schule weiss – für das Zentrum für Brückenangebote geradezu zum Programm. Für den Klassenlehrer Thomas Biehler gilt dies in diesem Schuljahr gleich in dreifacher Hinsicht. Zum einen musste auch er nach Monaten Fernunterricht die neuen Regeln verinnerlichen, die es glücklicherweise ermöglichen, eine Klasse wieder im direkten Augenkontakt zu unterrichten. Zum zweiten galt es für den erfahrenen Lehrer, der nach 18 Jahren an der Sekundarschule Holbein im August die Klasse «K12 prima» am ZBA-Standort Gundeldingen übernommen hat, sich in einem neuen Kollegium auf einer anderen Schulstufe zurechtzufinden. Und zum Dritten gehört Biehler (wie der ganze Schulstandort) zu den «Auserwählten», die nun die Geräte testen können, die später flächendeckend ab der 6. Klasse der Primarschule zum Einsatz kommen sollen.
In der ersten Woche nach den Sommerferien hat Biehler, wie das ganze Kollegium, sein persönliches Testgerät vom Typ «HP Elite x2 G4» bekommen. Gleich mit dem Auspacken wurde den Lehrpersonen von Fachleuten der ICT erklärt, was diese Detachables zu bieten haben und wie sie zu bedienen sind. Ganz neu war dies den meisten nicht, denn schon im letzten Schuljahr wurden die Testschulen in Weiterbildungen darauf vorbereitet, was von ihnen erwartet wird. Eher ungeplant konnten zudem alle während des Schul-Lockdowns praktische Erfahrungen sammeln mit Ilias, Mindsteps, Teams, Office 365 und all den anderen digitalen Tools. Sie dürften künftig ebenso selbstverständlich zum Unterricht an Basler Schulen gehören wie heute ein Schulbuch oder die Wandtafel. Er selbst zähle sich nicht zu den besonders Computer-Affinen unter den Lehrpersonen, sagt Biehler: «Nach den sehr positiven Erfahrungen, die ich insbesondere mit Office 365 im Fernunterricht sammeln konnte, bin ich aber überzeugt, dass die neuen digitalen Möglichkeiten bei meinen Schülerinnen und Schülern gut ankommen und den Unterricht bereichern werden.»
Peter Wittwer
«Es braucht gutes Coaching»
Ladina Guida, 6. Klasse Primarschule Erlenmatt
«Wir freuen uns riesig!» Die Begeisterung der Primarlehrerin ist fast greifbar. Seit geraumer Zeit schon testet die Primarstufe Erlenmatt digitale Formen der kollegialen Zusammenarbeit und hat auch schon mehrere Weiterbildungsformate durchgeführt. Jetzt aber geht’s richtig los. Ladina Guida und auch alle anderen Lehr- und Fachpersonen am Standort erhalten ihre eigenen Geräte. Nach den Herbstferien werden auch ihre Schülerinnen und Schüler der 6. Klasse je eines bekommen. Das eröffnet völlig neue Optionen, denn bislang verfügte man gerade mal über zehn Geräte für drei Klassen!
Die eigenen Geräte werden das individualisierte Lernen enorm erleichtern. «Dadurch kann ein Kind ein einführendes Erklärvideo, etwa zu einem mathematischen Thema, so viele Male anschauen, wie es dies braucht», so die Lehrerin. «Darstellungen können vergrössert oder vereinfacht, Übungen beliebig viele Male wiederholt und das Lerntempo kann individuell angepasst werden. Für Projektarbeiten steht jederzeit das Internet zur Verfügung.» Allerdings müssten die Schülerinnen und Schüler gut gecoacht werden, betont Guida. Gerade im Internet bestehe die Gefahr, dass man sich dort verliere. Zwar seien sie von klein auf auf digitale Geräte konditioniert, dies aber vor allem im Zusammenhang mit Games oder lustigen Videos. Es gelte mit den Kindern anzuschauen, welche Informationen vertrauenswürdig sind und welche sich als Fake News herausstellen.
Immerhin: Im Fremdsprachenunterricht, im Mathematikunterricht (mit dem Rechentraining von «Mein Klett») und im NMG-Unterricht wurden ja bereits Erfahrungen mit digitalen Lehrmitteln gesammelt. «Die Euphorie der Kinder wird anfangs sicher gross sein! Und auch ich freue mich darauf, mit der Klasse ganz neue Tools und Funktionen kennenzulernen. Die Kinder können zum Beispiel selber Lernvideos oder MiniBooks erstellen, sie können mit dem Zeichenprogramm arbeiten und nach Lust und Laune illustrieren.» Gleichwohl werde der analoge Unterricht weiterhin wichtig bleiben, denn gerade in ihrer Klasse mit sehr vielen leistungsschwachen Kindern müsse der Unterricht einfach, klar und strukturiert sein.
Yvonne Reck Schöni
Fotos: Grischa Schwank