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«Im Wald ist alles da»

19.06.2025
Raus aus dem Klassenzimmer und rein in die Natur: Thomas Steiner arbeitet in der Schule Bundesasylzentrum und geht mit den Schülerinnen und Schülern jede Woche in den Wald. Bei einem Besuch zeigt sich viel Freude am Naturerlebnis und auch, wie Fachkompetenzen ausserhalb des Klassenzimmers erweitert und vertieft werden können.
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Wie viele Würmer und Insekten haben die Kinder in ihr selbstgebautes Vogelnest getragen?

Verteilte Fäden und Zahnstocher auf dem Waldboden stehen für die drei unterschiedlichen Nahrungsquellen der heimischen Waldvögel: Insekten, Beeren und Würmer. Spielerisch werden diese von den Kindern in Zweiergruppen in das selbst gebaute Vogelnest getragen, das immer abwechselnd bewacht werden muss. Am Ende wird mit Hilfe einer Tafel gezählt und das Ergebnis in der Gruppe geteilt. Jedes Zweierteam erntet Applaus für die erbrachte Leistung.

Vogelbeobachtung

An diesem Dienstagmorgen im Mai wird im Wald am Vogelthema weitergearbeitet, das seit den Osterferien mit den Schülerinnen und Schülern behandelt wird. Alle Kinder sind mit einem Feldstecher und einem kleinen Lexikon ausgestattet, das sie als Vorbereitung zur Vogelbeobachtung selbst erstellt haben. Sie sind aufgeregt und gespannt, ob und welche Vögel sie im Wald entdecken. Der erfahrene Naturpädagoge Thomas Steiner hat Modelle heimischer Vogelarten mitgebracht, die die Kinder im Wald suchen und finden müssen. Es wird genau beobachtet, beschrieben und mit dem eigenen Lexikon abgeglichen. «Es gibt kein Fach, das ausserhalb vom Klassenzimmer nicht vertieft werden kann», weiss der Klassenlehrer aus Erfahrung. Wie beim Spiel zu den Nahrungsquellen der Vögel lassen sich im Wald Fächer verbinden, in diesem Fall NMG mit Mathematik.

Positive Eigenschaften

Thomas Steiner kennt viele Vorteile vom Unterrichten im Wald: «Neben der Möglichkeit, hier draussen fächerübergreifend zu vermitteln, kommen auch die Selbst- und Sozialkompetenzen hinzu, die draussen anders gefördert werden.» Dem Naturpädagogen sieht man die Freude an der Vermittlung im Wald an. «Meine eigene Begeisterung für die Natur und den Wald ist die Voraussetzung fürs Draussenunterrichten.» Er selbst hat einen Grossteil seiner Kindheit im Wald verbracht und ist von den positiven Eigenschaften der Natur überzeugt. «Im Wald ist Platz für alle», fasst er zusammen, «ausserdem profitieren alle von der Reizreduzierung. Im Wald ist eigentlich alles da, ohne das ganze Material.» Darüber hinaus rege der Unterricht draussen auch den Selbstlernprozess an. «Draussen müssen auch wir Lehrpersonen flexibel bleiben», beschreibt Thomas Steiner seine Selbsterfahrung. Es gibt so viel Unvorhersehbares, das die Planung des Unterrichts beeinflussen kann. Dazu gehören rasche Wetteränderungen wie Regengüsse oder Kälte genauso wie die Ideen der Kinder. «Es kann immer sein, dass man im Wald etwas Interessantes oder Unerwartetes findet, das wir dann in den Unterricht einbauen. Mir gefällt die Spontanität, die auch im Alltag der Schule Bundesasylzentrum eine grosse Rolle einnimmt», berichtet der Naturpädagoge.

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«Still wie ein Stein» bei der Vogelbeobachtung mit den eigenen Feldstechern.

Die Natur verstehen

«Vogel», ruft es aufgeregt und alle rennen durcheinander mit dem Feldstecher vor dem Gesicht umher und wollen finden, was ein Einzelner entdeckt hat. Thomas Steiner beruhigt die Gruppe und erklärt: «Bei der Vogelbeobachtung muss man still stehen wie ein Stein.» Sofort kehrt Ruhe in die Kindergruppe ein, die Feldstecher werden gerichtet. Diese fokussieren den Blick der jungen Forschenden. «Eine Rabenkrähe», benennt Thomas Steiner den grossen Vogel auf einem hohen Ast. Die Kinder lernen neben den Vogelarten, auch ihr Verhalten den Waldtieren anzupassen. Mit langsamen Schritten nähert sich die Gruppe später einer anderen Rabenkrähe, die sich über das verlassene Znüni hermacht. Der Lerneffekt der ersten Begegnung wird umgesetzt, fast hätte man die Rabenkrähe aus nächster Nähe beobachten können. Diese hat sich dann aber doch entschieden, sich in die Sicherheit des Waldes zurückzuziehen. Die Kinder sind stolz, so nah dran gewesen zu sein. Bei jeder Begegnung werden die Kinder näher an die Tiere rankommen und diese so besser kennen und verstehen lernen.

Umweltbildung als Chance

Die Vermittlung von Umweltbildung und die Wertschätzung gegenüber der Natur liegen Thomas Steiner am Herzen. Dafür geht er mit seiner Klasse jede Woche in den Wald. «Die Konstanz ist wichtig, dass sich alle auf das Draussenunterrichten einlassen können», berichtet Thomas Steiner. «Und der Unterricht in der Natur ist für mich auch eine Gegenkultur zur Digitalisierung. Ich möchte den Kindern etwas ermöglichen, was sie zu Hause nicht mitbekommen.» So organisiert er sich für seine Waldtage auch mehr Zeit. Nach Absprache mit der Schulleitung muss er nicht um Punkt 12 Uhr zurück sein. So kann er auch noch mit den Kindern im Wald über dem offenen Feuer kochen. An diesem kalten Dienstagmorgen im Mai freuen sich alle auf die warme Buchstabensuppe, bei der viele eifrige Hände mitgeholfen haben. Das Holz fürs Feuer haben die Kinder auf dem Weg in den Wald selbst gesammelt. Thomas Steiner geht seit vielen Jahren mit seinen Schülerinnen und Schülern in den Wald und weiss aus Erfahrung, dass auch viel Überzeugungsarbeit bei den Eltern vorausgesetzt wird. «Ich wirke bewusst in der Volksschule, weil es mir wichtig ist, dass alle Kinder diese Chance erhalten.» Dafür arbeitet er in einem Team, das diese Überzeugung teilt und ohne das ein regelmässiger Unterricht im Wald nicht durchführbar wäre.

Text und Fotos: Maren Stotz

Wald- und Wiesenschule

Zusammen mit Nathalie Bossi vermittelt Thomas Steiner viermal im Jahr diverse Methoden als Grundlage für den Unterricht draussen am Pädagogischen Zentrum (PZ.BS). Nächste Kurse und Termine:

Wald- und Wiesenschule Unterwegs im Herbst: 16.10.2025

Wald- und Wiesenschule Unterwegs im Winter: 11.12.2025

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