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«Die Mehrsprachigkeitsdidaktik ist der richtige pädagogische Ansatz»

Interview zur erweiterten Lehrmittelfreiheit

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Conradin Cramer: «Im Englisch ist die Mehrsprachigkeitsdidaktik völlig unbestritten, und in vielen Kantonen und auch international ist sie der Standard.» – Foto: Grischa Schwank

Departementsvorsteher Conradin Cramer erläutert die erweiterte Lehrmittelfreiheit ab August 2020

Basler Schulblatt: Der Erziehungsrat hat sich für eine grössere Lehrmittelfreiheit in den Fächern Mathematik, Deutsch und Französisch ab Schuljahr 2020/21 entschieden. Was ändert sich damit?
Conradin Cramer: Die Lehrpersonen haben in diesen Fächern neu die Wahl zwischen mindestens zwei verschiedenen Lehrmitteln. Damit erhalten sie mehr Möglichkeiten, werden aber nicht alleingelassen. Denn alle Lehrmittel werden vorgängig von Lehr- und Fachpersonen geprüft und müssen bestimmte Kriterien erfüllen (vgl. Abschnitt «Lehrmittel an der Volksschule: drei Varianten»).

Was hat Sie zu diesem Vorgehen bewogen?
Insbesondere im Französisch sind die beiden Lehrmittel – «Mille feuilles» und «Clin d'œil» – bei Politik und Öffentlichkeit und teilweise auch bei Französisch-Lehrpersonen umstritten. Ich sehe es als Chance, dass jetzt ein Alternativ-Lehrmittel auf dem Markt ist, das wir in Pilotklassen sorgfältig getestet haben und nun freigeben können.

Wie beurteilen Sie die im Februar lancierte Lehrmittel-Initiative der «Starken Schule beider Basel»?
Die Initiative halte ich für gefährlich, weil dann alle beliebigen Lehrmittel ohne jegliche Fachbeurteilung und ohne jede Koordination eingesetzt werden könnten. Auch die von der «Starken Schule» propagierte Abkehr von der Mehrsprachigkeitsdidaktik zurück zu einem früheren didaktischen Verständnis finde ich falsch. Ich bin überzeugt, dass die Mehrsprachigkeitsdidaktik trotz der Schwierigkeiten im Französisch der richtige pädagogische Ansatz ist, gerade mit Blick auf unsere heterogene Schülerschaft. Auch wenn es die Initianten ungern hören: Die 2017 durchgeführte Umfrage der KSBS zeigt deutlich, dass zwar mit «Mille feuilles» nicht alle zufrieden sind, das Konzept der Mehrsprachigkeitsdidaktik aber von einer grossen Mehrheit der Fremdsprachen-Lehrpersonen mitgetragen wird. Im Englisch ist die Mehrsprachigkeitsdidaktik übrigens völlig unbestritten, und in vielen Kantonen und auch international ist sie der Standard.

                                        

«Unsere Antwort auf Kritik ist, die Lehrmittel zu verbessern und den Einsatz alternativer Lehrmittel zu ermöglichen – aber sicher nicht, das Rad der Zeit zurückzudrehen.»

Was unterscheidet die Initiative vom aktuellen Vorgehen des Erziehungsdepartements?
Unser Ansatz ist, die Lehrmittel zu prüfen, bevor sie zum Einsatz kommen. Damit wird sichergestellt, dass sie unseren Kriterien entsprechen. Die Initiative möchte hingegen eine vollständige Freigabe der Lehrmittel. So könnte zum Beispiel ein Französisch-Lehrmittel aus Kanada frei benutzt werden, selbst wenn es auf einem anderen didaktischen Konzept basiert oder keinerlei inhaltliche Bezüge zur Schweiz hat. Das würde zu einer Beliebigkeit führen: Im gleichen Schulhaus könnten Kinder mit völlig unterschiedlichen didaktischen Methoden und Inhalten unterrichtet werden. Das kann nicht im Interesse der Schule sein. Deshalb halte ich eine breit abgestützte Vorauswahl der Lehrmittel durch Lehr- und Fachpersonen und durch den Erziehungsrat für richtig und notwendig.

Sie haben die Unzufriedenheit der Französisch-Lehrpersonen angesprochen. Wie begegnen Sie deren Kritik?
Einer der Gründe für die Einführung der Mehrsprachigkeitsdidaktik war, dass die früheren didaktischen Konzepte nicht zu den erwarteten Französischkompetenzen geführt hatten. Noch sind lange nicht alle Ziele der Mehrsprachigkeitsdidaktik erreicht. Unsere Antwort darauf ist zum einen, die Lehrmittel zu verbessern, und zum anderen, den Einsatz alternativer Lehrmittel zu ermöglichen – aber sicher nicht, das Rad der Zeit zurückzudrehen und hinter fundierte Erkenntnisse zurückzugehen.

                                           

«Die Initiative halte ich für gefährlich, weil dann alle beliebigen Lehrmittel ohne jegliche Fachbeurteilung und ohne jede Koordination eingesetzt werden könnten.»

In der öffentlichen Diskussion stehen der Französischunterricht und «Mille feuilles» in der Kritik, während der Englischunterricht kaum umstritten ist.
Sich so explizit gegen das Französisch-Lehrmittel zu wehren, werte ich als Ideologisierung der Debatte: Wegen den Schwächen, die das Französisch-Lehrmittel zu Beginn klarerweise hatte, soll jetzt die ganze Didaktik über Bord geworfen werden. Das ist keine rationale Herangehensweise. Denn wir sehen, dass im Englischunterricht mit derselben Mehrsprachigkeitsdidaktik gute Resultate erzielt werden und die jungen Leute die Sprache mit Freude und Erfolg lernen.

Welche Folgen hätte eine Annahme der Initiative?
Die Gefahr der Initiative ist, dass genau das passiert, was die Initianten dem Erziehungsdepartement heute vorwerfen: nämlich dass mit den Kindern experimentiert und willkürlich didaktische Methoden ausprobiert werden könnten.

Wie entscheidend ist das Lehrmittel für das Erreichen der Unterrichtsziele?
Es ist ein wichtiges Puzzle-Stück, das wichtigste aber ist die Lehrperson. Beim Französisch kommt das grosse Angebot an Austauschangeboten hinzu, das es in unserem Kanton gibt. Unsere geografische und kulturelle Nähe zur französischsprachigen Schweiz und zu Frankreich können wir für die Schule noch stärker nutzen.

Interview: Valérie Rhein
April 2020

Lehrmittel an der Volksschule: drei Varianten

Obligatorische Lehrmittel: Pro Fach gibt es ein Lehrmittel, das unterrichtsleitend eingesetzt werden muss. Im laufenden Schuljahr gibt es in den Fächern Deutsch, Französisch, Englisch und Mathematik obligatorische Lehrmittel.

Alternativ-obligatorische Lehrmittel: Pro Fach gibt es mindestens zwei Lehrmittel, mit einem dieser Lehrmittel müssen die Lehrpersonen unterrichtsleitend arbeiten. Sie entscheiden, welches der Lehrmittel sie einsetzen. Im laufenden Schuljahr gibt es für die Berufliche Orientierung und bei den Erstleselehrmitteln alternativ-obligatorische Lehrmittel, ab Schuljahr 2020/21 auch für die Fächer Mathematik, Deutsch und Französisch.

Fakultative Lehrmittel: Pro Fach gibt es mehrere Lehrmittel, die eingesetzt werden können. Die Lehrpersonen entscheiden, ob sie eines dieser Lehrmittel einsetzen und wenn ja, welches. Fakultative Lehrmittel gibt es für praktisch alle Fächer – auch für jene mit obligatorischen und alternativ-obligatorischen Lehrmitteln.

Alle Lehrmittel für den Unterricht in Kindergarten, Primarschule und Sekundarschule des Kantons Basel-Stadt, die auf der offiziellen Lehrmittelliste aufgeführt sind, wurden im Auftrag der Volksschulleitung von Lehrpersonen sowie Fachexpertinnen und Fachexperten geprüft und vom Erziehungsrat bewilligt. Die Schulen bestellen sämtliche Lehrmittel über die Materialzentrale.

Die Lehrmittel müssen folgende Kriterien erfüllen:

  • Kompatibel mit dem Lehrplan 21
  • Fokus auf kompetenzorientiertem Unterricht
  • Fokus auf Mehrsprachigkeitsdidaktik (Fremdsprachenunterricht)
  • Inhaltlicher Bezug zur Schweiz
Weitere Informationen unter www.edubs.ch/unterricht/lehrmittel und www.edubs.ch/zusatzangebote