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«Wir planen keine weitere Schulreform»

23.03.2021
Conradin Cramer initiiert eine Totalrevision der fast 100-jährigen Bildungsgesetzgebung. Eine Projektorganisation erarbeitet Vorschläge für ein Bildungsgesetz, das den fortschrittlichen Anspruch des Kantons in pädagogischen Fragen auch auf Gesetzesebene abbildet. Im Interview erläutert er, was er mit der Revision anstrebt – und was nicht.
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Basler Schulblatt: Für Ihre zweite Amtsperiode haben Sie sich eine umfassende Revision der kantonalen Bildungsgesetzgebung vorgenommen. Weshalb ist das nötig und was ist am bestehenden Schulgesetz aus dem Jahr 1929 nicht mehr zeitgemäss?

Conradin Cramer: Stellen Sie sich die grundverschiedenen Schulsysteme von 1930 und von heute vor: Manche der alten gesetzlichen Grundlagen passen nicht mehr in unsere Realität. Unterschiedliche Begrifflichkeiten und Inhalte ergeben nach den kontinuierlichen Anpassungen über die Jahrzehnte einen Flickenteppich. Ein Beispiel: Die Paragrafen 6 bis 30 des Schulgesetzes fehlen vollständig, nur die mit Fussnoten versehenen Paragrafenzahlen erinnern noch an die einstigen Bestimmungen. Es muss «aufgeräumt» werden, damit nicht nur Rechtsexpertinnen und Rechtsexperten das Schulgesetz verstehen, sondern alle am Bildungswesen Beteiligten.

Gibt es konkrete Beispiele aus dem Schulalltag, die Ihnen begegnet sind?

Mit der Zeit haben sich Praktiken etabliert, die zwar völlig unbestritten, bisher aber gesetzlich nicht verankert sind. Dazu gehören zum Beispiel Massnahmen zum Nachteilsausgleich oder gewisse Fördermassnahmen. Das kann für eine gewisse Zeit durchaus zweckmässig sein und funktionieren, nicht aber auf längere Sicht. Ich denke da auch an Risiken, die sich mit sauberen rechtlichen Grundlagen vermeiden liessen, zum Beispiel mit Blick auf Rekurse.

In welche Richtung soll die Überarbeitung der Gesetzesgrundlagen gehen?

Beim Projekt Bildungsgesetzgebung geht es nicht um eine weitere Schulreform, sondern darum, auf Gesetzesebene wieder für mehr Ordnung zu sorgen. Das heutige Schulgesetz aus dem Jahr 1929 lässt sich gut mit einem Gebäude vergleichen, an dem immer wieder herumgeflickt worden ist und das auch immer wieder durch mehr oder weniger passende Anbauten in ganz unterschiedlichen Stilen erweitert worden ist. Mit dem Blick aufs Ganze braucht es nun nach fast 100 Jahren eine Gesamtrenovation. Wir müssen so aufräumen, dass wir wieder eine Bildungsgesetzgebung haben, die – vielleicht nicht für die nächsten 100, aber doch 50 Jahre – als rechtliches Fundament für das kantonale Bildungswesen dienen kann.


                                                                  

«Mit der Zeit haben sich Praktiken etabliert, die zwar völlig unbestritten, bisher aber gesetzlich nicht verankert sind.»


 

Was wird künftig anders sein?

Die heutige Bildungsgesetzgebung ist sehr heterogen: In einigen Bereichen, etwa bei den Schulen auf der Sekundarstufe II, gibt es Überregulierungen. In anderen Bereichen ist die Rechtsgrundlage für die heutige Schulpraxis eher zu dünn. Ausgehend von der heutigen Aufgabenverteilung im Departement muss hier ein Ausgleich geschaffen werden. Am Schluss wird das heutige Schulgesetz allerdings nicht einfach durch ein allumfassendes neues Bildungsgesetz ersetzt werden. Vorgesehen ist vielmehr, dass die Volksschulen, die Mittelschulen und die Berufsbildung je ein eigenes Gesetz erhalten, die allenfalls durch ein übergeordnetes Bildungsrahmengesetz miteinander verknüpft und ergänzt werden. Der Weg dahin wird anstrengend sein und Lorbeeren lassen sich dabei als Politiker auch nicht ernten. Ich will das nun aber anpacken, auch weil wir aktuell in unserer Rechtsabteilung schweizweit führende Bildungsrechtsexperten haben und dank ihnen diese Gesetzesreform weitgehend mit eigenen Mitteln stemmen können.

Wie gehen Sie vor?

Mir ist wichtig, dass dieses Projekt von Fachleuten gestaltet wird, die sich in ihrer täglichen Arbeit aus unterschiedlichen Perspektiven mit dem Bildungswesen auseinandersetzen: von unseren Juristen Stephan Hördegen und Philipp Schenker, die das Projekt leiten, von Fachleuten aus den Bereichen Volksschulen sowie Mittelschulen und Berufsbildung sowie von Vertreterinnen und Vertretern aus Schulleitungen und KSBS, die sich im Schulalltag bewegen. Um die bestehende Praxis abzubilden und durch eine rechtliche Grundlage abzusichern, sind ihr Fachwissen und ihre Erfahrung gefragt.

Wie können sich Lehr- und Fachperson in dieses Projekt einbringen?

Die Lehr- und Fachpersonen bringen sich über die KSBS-Vertretungen ein. Doch es handelt sich hier wie gesagt nicht um ein Reformprojekt, sondern um eine Nachführung des geltenden Rechts, um «Wartungsarbeiten». Je weniger Lehr- und Fachpersonen davon merken, umso besser macht das Projektteam seine Arbeit. Denn weder der Berufsauftrag noch das Personalrecht werden inhaltlich verändert. Vielmehr sollen die Lehr- und Fachpersonen mehr Klarheit darüber erhalten, was unser Bildungssystem ausmacht, und auch die Sprache soll zeitgemäss sein. Formulierungen wie die «Wohlfahrt der bedürftigen Jugend» (§148) oder Begriffe wie das «Schulgebet» (aufgehobener §77a) bilden unsere Realität nicht mehr ab.

Was sind die nächsten Schritte? Und bis wann ist mit der Inkraftsetzung der neuen Gesetze zu rechnen?

Mein Ziel ist es, die neue Bildungsgesetzgebung am Ende dieser Legislaturperiode, also bis ins Jahr 2024, in Kraft zu setzen. Erste Schritte sind gemacht: Die Projektorganisation steht (vgl. Kasten) und die vergleichsweise bescheidenen Mittel für die Durchführung des Projektes wurden vom Regierungsrat genehmigt. Ich bin optimistisch, dass sich dieser Zeitplan einhalten lässt, denn die Projektleitung hat sich nach dem Kickoff Anfang Jahr hochmotiviert an die Arbeit gemacht. Meine Aufgabe als Regierungsrat ist es, bei den betroffenen Mitarbeitenden und in der Politik für die notwendige Akzeptanz zu sorgen.

Welche Reaktionen auf das Vorhaben erwarten Sie?

Ich mache mir keine Illusionen: Eine Gesetzesreform von diesen Dimensionen wird nicht geräuschlos über die Bühne gehen. Es wird sicher politische Vorstösse geben, und an den Schulen wird die Revision der Gesetzesgrundlagen keine Begeisterungsstürme auslösen. Wir müssen unbedingt vermeiden, dass zu hohe und falsche Erwartungen geweckt werden. Die angestrebte formelle Anpassung der Gesetzesgrundlagen an die aktuellen Verhältnisse muss klar getrennt werden von Vorstössen, in denen inhaltliche Anpassungen in der Bildungspolitik gefordert werden. Auch diese wird es in meiner zweiten Amtszeit sicher geben. Das darf aber nicht miteinander vermischt werden, denn ich möchte nicht, dass am Schluss gegen die neue Bildungsgesetzgebung wegen punktueller Neuerungen das Referendum ergriffen wird.


«Wir müssen unbedingt vermeiden, dass zu hohe und falsche Erwartungen geweckt werden. Die formelle Anpassung der Gesetzesgrundlagen an die aktuellen Verhältnisse muss klar getrennt werden von Vorstössen, in denen inhaltliche Anpassungen in der Bildungspolitik gefordert werden.»

                                                                                                                                                                                      


 

Was bringt eine neue Bildungsgesetzgebung den Lehrpersonen?

Die revidierte Bildungsgesetzgebung soll die rechtlichen Rahmenbedingungen für den heutigen Schulalltag aktuell und umfassend abbilden. Für die am Bildungssystem Beteiligten bringt das eine grössere Rechtssicherheit und Klarheit. Ich denke da etwa an die geplante Aufteilung in bereichsspezifische Gesetze: in ein Volksschul-, ein Mittelschul- und Berufsbildungsgesetz. Das wird das Nachschlagen gesetzlicher Grundlagen vereinfachen. Die Promotionen zum Beispiel, die im aktuellen Schulgesetz nur ein einziges Mal – in § 57b für die Volksschulen – thematisiert werden, liessen sich künftig auch für die nachobligatorischen Schulen in den Grundzügen auf Gesetzesebene regeln.

Kann Basel-Stadt von der Bildungsgesetzgebung anderer Kantone lernen?

Natürlich schauen wir über den Tellerrand hinaus und informieren uns, wie die rechtliche Systematik in anderen Kantonen aussieht. In Basel-Stadt haben wir den Anspruch, in Pädagogik, Förderung oder Integration schweizweit eine führende Rolle einzunehmen. Unsere künftige moderne Bildungsgesetzgebung soll diesen Anspruch auch auf gesetzlicher Ebene abbilden.

Interview: Valérie Rhein und Peter Wittwer

Projektorganisation mit vier Teilprojekten

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Die auf vier Jahre ausgelegte Arbeit an der neuen Bildungsgesetzgebung wird nicht an externe Expertinnen und Experten delegiert, sondern weitgehend mit bestehenden Personalressourcen bewältigt. Zur Entlastung der Projektleitung braucht es einzig beim Rechtsdienst eine befristete Personalaufstockung. Zudem sind für externe Beratungen in den vier Jahren insgesamt 60‘000 Franken eingeplant.

Das Projekt umfasst vier Teilprojekte. Die beiden grossen Bereiche «Volksschulen» und «Mittelschulen und Berufsbildung» sollen je eigene moderne Gesetze erhalten. Zwei Arbeitsgruppen bereiten ein neues Bildungsrahmengesetz vor und erarbeiten Vorschläge für eine gesetzliche Regelung des Lehrpersonalwesens.

In allen Teilprojekten sind Personen vertreten, die das Gesetz später in die Praxis umsetzen werden (vgl. Projektorganigramm). Als «Konsultativ- und Reflexionsgremium für die Projektleitung» wurde zudem ein Soundingboard eingesetzt, dem neben den Präsidenten der KSBS und FSS auch je zwei Schulleitungs-Vertreter der Volksschulen sowie der Sekundarstufe II angehören.

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