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«Wir haben nie gesagt, wir wollen Fernunterricht»

20.05.2020
«Ein Grossteil der Lehr- und Fachpersonen hat sich ein Bein ausgerissen und versucht, das Beste aus der Situation zu machen.» Diese positive Erfahrung nehmen sowohl Thomas Grossenbacher, Leiter der ICT-Medien, wie auch Gaby Hintermann von der Volksschulleitung aus den langen Wochen mit, an denen an den Schulen kein Präsenzunterricht stattfinden konnte. Wie immer in unvorhersehbaren Krisen waren nicht Aktionismus oder Perfektionismus gefragt, sondern pragmatische Lösungen.
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Als in Basel die Fasnacht abgesagt wurde, habe er zu ahnen begonnen, was für ein Kraftakt da auf die Schulen und ICT Medien zukommen würde, sagt Thomas Grossenbacher rückblickend. Doch da blieben ihm und all denen, die sich in den letzten Wochen darum gekümmert haben, dass der Unterricht auch im Lockdown nicht ganz zum Erliegen kommt, gerade noch ein paar Tage zur Vorbereitung. Hilfreich gewesen sei, dass es im Zusammenhang mit der Umsetzung des ICT-Ratschlags schon ein Netzwerk von Fachleuten gab, das für die Unterstützung des Fernunterrichts aktiviert werden konnte, erinnert sich Gaby Hintermann. Sie, die noch vor wenigen Monaten selbst als Lehrerin vor einer Klasse gestanden hat, ist im Laufe der Krise innerhalb der Volksschule ein wenig in die Rolle einer Koordinatorin des Fernunterrichts gerutscht. Neben ihr und Thomas Grossenbacher traf sich während der Phase ohne Präsenzunterricht rund ein Dutzend Personen aus der Volksschulleitung, dem PZ.BS und den ICT-Medien regelmässig per Videokonferenz, um sich abzusprechen, was die Standorte zur Organisation des Fernunterrichts brauchen und wie die Lehrpersonen wirksam unterstützt werden können.

Extreme Ausnahmesituation
Allen sei von Beginn weg klar gewesen, dass es nun primär darum geht, eine Krise möglichst gut zu bewältigen, betont Gaby Hintermann: «Wir befanden uns in einer extremen Ausnahmesituation und konnten deshalb von niemandem verlangen, dass alles perfekt funktioniert.» Weil die Ausgangslage je nach Standort sehr unterschiedlich war, hat sich die Volksschulleitung darauf beschränkt, ein paar Grundsätze für die Organisation des Fernunterrichts festzulegen. Dazu gehörte etwa die Vorgabe, dass sich die Kollegien untereinander absprechen müssen, wie sie den Unterricht unter den neuen Rahmenbedingungen organisieren. Und dass jede Lehrperson dafür besorgt sein muss, dass kein Kind allein gelassen wird.

In einer ersten Phase ging es – insbesondere auf der Primarstufe – erstmal darum, ein neues Betreuungsangebot für Familien mit systemrelevanten Berufen aufzubauen und den Kontakt zu den Familien nicht zu verlieren. Dann konnte man daran gehen, erste Schritte mit einem Fernunterricht auszuprobieren, in dem vor allem mit Repetitionen der aktuelle Wissenstand gesichert werden sollte. In einer dritten Phase hatten die Schulen dann den Auftrag, unter den speziellen Bedingungen des Fernunterrichts auch wieder weiterführenden Unterricht in möglichst allen Fächern zu realisieren.

Innovation à gogo war nicht gefragt
Die Möglichkeiten des digitalen Unterrichts wurden dabei je nach Standort sehr unterschiedlich genutzt. «Wie immer hat es Turbos gegeben, die sich enorm schnell den neuen Gegebenheiten anpassten und durch die technischen Herausforderungen richtig aufblühten. Es gab aber auch andere, die vielleicht noch nicht so weit waren, und den Kindern dafür das Unterrichtsmaterial persönlich nach Hause brachten.» Das hat für Gaby Hintermann durchaus seine Berechtigung, denn Fernunterricht bedeutet ja nicht zwangsläufig Digitalisierung des Unterrichts: «Wir wollten unter diesen Umständen nicht technische Innovation à gogo fördern und schon gar nicht einen Druck aufkommen lassen, dass nun alle von einem Tag auf den andern voll auf digitalisierten Unterricht umsteigen müssen. Auch die liebevoll zusammengestellten Wundertüten mit Arbeitsaufträgen, die bestimmt nicht nur die Kindergartenkinder jeweils kaum erwarten konnten, haben mich berührt.»

Innert kürzester Zeit Szenarien entwickelt
Auch wenn der Digitalisierungsprozess an den Volksschulen nun nach Fahrplan weitergeht, steht ausser Zweifel, dass der Fernunterricht den Basler Schulen einen gewaltigen Digitalisierungsschub gebracht hat. Diese Welle hat natürlich auch die ICT Medien des Erziehungsdepartements mit voller Wucht zu spüren bekommen: «Als die Schulen zugingen, wussten wir, dass wir handeln müssen», sagt Thomas Grossenbacher: «Noch vor Bekanntgabe der Schulschliessung durch den Bundesrat haben wir das Szenario «Fernunterricht» intern durchgespielt und überprüft, ob wir über ausreichende Tools verfügen, die es den Lehrpersonen und Schülerinnen und Schüler ermöglichen, von zu Hause aus zu arbeiten. Dank der langjährigen Aufbauarbeit waren Plattformen wie eduBS-O365 und Teams, eduBS-ILIAS oder der eduBS-Desktop bereits seit längerem etabliert. Jetzt mussten diese Werkzeuge in kürzester Zeit noch auf die zu erwartenden hohen Zugriffszahlen skaliert werden und geplante Zusatzfunktionen wie der Self-Service in Teams, um eigene Arbeitsgruppen abbilden zu können, vorgezogen werden. Parallel mussten Anleitungen ergänzt, Empfehlungen geschrieben und zusammen mit dem PZ.BS Schulungen aus dem Boden gestampft werden». Sein Mitarbeiter Andreas Vogele, der auf den Videoinstruktionen auf dem Bildungsserver die Anwendungsmöglichkeiten der einzelnen Tools erklärt, sei nach diesen Wochen wohl die bekannteste Basler Lehrperson, meint er schmunzelnd.

Neue niederschwellige Plattform
Grossenbacher ist froh, dass man nicht ganz bei Null anfangen musste. Der Prozess der schrittweisen Digitalisierung der Basler Volksschule läuft ja bereits seit 2012. Als die Nutzerzahlen auf einmal um ein Mehrfaches hochgeschnellten, habe man aber rasch gemerkt, dass mit den bestehenden Angeboten nicht alle Bedürfnisse für den Fernunterricht abgedeckt werden können. Weil Kinder erst ab der 3. Klassen eine eigene edubs-Mail zugeteilt bekommen, wurde für die ganz Kleinen (und deren Eltern) die niederschwellige Plattform treff.edubs.ch eingerichtet, die jetzt über den Lockdown hinaus auch für ganze andere Zwecke wie etwa Prüfungen auf der Sekundarstufe II genutzt werden kann.

Eine wichtige Erkenntnis aus dem ungeplanten Praxistest: Es genügt nicht, wenn alle Lehrpersonen  wissen, welche digitalen Möglichkeiten ihnen zur Verfügung stehen und wie man sie technisch anwendet. Sie müssen auch Erfahrungen sammeln, wie man diese didaktisch sinnvoll nutzen kann. Wie kann ich online Feedback geben? Und wie bringe ich Schülerinnen und Schülern bei, dass sie auf schulischen Plattformen nicht gleich salopp kommunizieren können, wie wenn sie sich privat austauschen? Solchen Fragen haben sich wohl viele Lehrpersonen in den letzten Wochen stellen müssen, und im Digitalisierungsprozess wird sich wohl die eine oder andere Lehrperson in den nächsten Monaten daran erinnern, wie dieses oder jenes in den acht Wochen Fernunterricht funktioniert hat …

Für 20 Franken ein eigener Laptop

Anders als bei den Lehrpersonen gab es Hunderte von Schülerinnen und Schülern, denen die Ausrüstung für einen digitalen Fernunterricht fehlte. Die ICT-Medien haben das Problem schon früh erkannt und nach Möglichkeiten Ausschau gehalten, wie dieses Manko wenigstens technisch abgefedert werden kann, damit niemand von der Umstellung auf Videokonferenzen und anderen digitalisierten Formen des Unterrichts ausgeschlossen wurde. Innert weniger Tagen haben Thomas Grossenbacher und sein Team der ICT-Medien aus den fünf bis sechs Jahre alten Schulgeräten, die durch neue ersetzt worden waren, 420 Laptops «refurbished». Das heisst: Sie wurden so aufgerüstet, dass sie für den Fernunterricht weiter genutzt werden konnten. In einer Umfrage an den Schulen haben sich dann etwas mehr als 300 Jugendliche der Sekundarstufe I und des ZBA gemeldet, die privat keinen Zugang zu einem Gerät hatten. Sie alle konnten dann im Rahmen einer Hilfsaktion mit der Jobfactory ein eigenes Gerät in Empfang nehmen. Wo dies nötig war, wurde ihnen auch kostenlos ein privater Zugang ins Internet eingerichtet.

Ursprünglich wurde bewusst offen gelassen, was mit den aufgerüsteten Geräte nach dem Lockdown geschehen würde. Umso erfreuter waren die Jugendlichen, als sie erfuhren, dass sie ihren Computer für einen symbolischen Beitrag von 20 Franken behalten können. Die restlichen Geräte, die nach ihrer Aufrüstung noch einige Zeit tadellos funktionieren sollten, wurden dann nach und nach an Kinder der Primarstufe abgegeben, die wegen gesundheitlichen Risiken weiter zu Hause bleiben mussten und ebenfalls kein Gerät zu Hause zur Verfügung hatten.

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