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Wie steht es um Partizipation an Schulen?

08.12.2021
Das Schulgesetz garantiert der KSBS und all ihren Mitgliedern in den Schulkonferenzen ein umfassendes Anhörungs- und Mitspracherecht. Mit einem feinen Gespür für «checks and balances» hat der Gesetzgeber so ein System etabliert, in dem hierarchische Führungsstrukturen und partizipative Bottom-up-Prozesse ineinandergreifen und sich ergänzen.
Das KSBS-Präsidium (mitte) im Gespräch mit Mitgliedern aus Konferenzvorständen zum Thema Partizipation an den verschiedenen Standorten.
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Das KSBS-Präsidium (mitte) im Gespräch mit Mitgliedern aus Konferenzvorständen zum Thema Partizipation an den verschiedenen Standorten. Foto Grischa Schwank

Die Kantonale Schulkonferenz Basel-Stadt (KSBS) hat einen gesetzlich verankerten Auftrag: Sie ermöglicht ihren Mitgliedern Mitsprache und Mitwirkung innerhalb des Erziehungsdepartements (ED). Dies ist der ausdrückliche Wille des Gesetzgebers und in drei Grundlagentexten entsprechend festgehalten: im Schulgesetz (SG § 122-129, aber auch § 113 -121), in der KSBS-Verordnung (KSBS-VO 411.100), in der Ordnung für die Schulkonferenzen (SK-O 411.380). Der durch die KSBS zu behandelnde Themenbereich ist dabei sehr weit gefasst: Das SG spricht von «Fragen der Erziehung und des Schulwesens», die KSBS-VO vom partizipativen Einbezug «in allen wichtigen pädagogischen Fragen und in Fragen, die den Berufsauftrag der Lehrpersonen betreffen». Alle ED-Stufen stehen gegenüber den Schulkonferenzen in der Pflicht: «Die Volksschulleitung, die Leitung Mittelschulen und Berufsbildung und die kantonale Schulkonferenz haben die Konferenzen beim Entscheid über wichtige sie betreffende Fragen einzubeziehen» (SG), die Schulkonferenz «wird von der Schulleitung einbezogen in pädagogischen und organisatorischen Belangen, in Fragen, die den Berufsauftrag und den Arbeitseinsatz betreffen, und vor allen wichtigen Entscheidungen» (SK-O).

Anhörung umfasst auch Mitwirkung
Zum – eher passiv grundierten – Recht auf «Anhörung» gehört ein Anspruch auf aktive Mitwirkung. In der SK-O, dem modernsten der drei Grundlagentexte, wird die Schulkonferenz darum explizit als schulinternes «Mitwirkungsorgan» bezeichnet. Dass die Konferenzen nicht nur auf behördliche Anfragen und Konsultationen reagieren, sondern auch selbstbestimmt handeln und eigene schulische Themen ins Zentrum rücken sollen, wird wiederholt formuliert. So heisst es im SG, dass die KSBS nicht nur diejenigen Themen behandelt, die ihr «von den Schulbehörden zur Beratung zugewiesen» werden, sondern auch jene, «deren Behandlung sie […] selbst beschlossen hat»; und bezüglich der Schulkonferenzen heisst es, dass es in ihrer Kompetenz liegt, «Anträge an ihre Schulleitung, an die Volksschulleitung und die Leitung Mittelschulen und Berufsbildung zu stellen». Somit räumt die Gesetzgebung den Schulkonferenzen im partizipativen Geschehen eine bedeutende und immer auch aktive Stellung ein.

Partizipative Organisationsstruktur der KSBS
Dieser Bedeutung der Schulkonferenzen wird die KSBS gerecht, indem sie mit den Konferenzvorständen (KV) in engem Austausch steht, um ihre Anliegen und Anträge entgegenzunehmen, zu bearbeiten und an die Behörden weiterzuleiten. Monatlich treffen sich im KSBS-Vorstand die KV-Vertretungen aller Standorte mit dem Leitenden Ausschuss (LA). Die (ausführlichen) Protokolle dieser Sitzungen sind öffentlich (KSBS-Homepage: https://ks-bs.edubs.ch/) und werden als Kurzprotokoll (sog. «KSBS-Express») den Standorten wenige Tage nach den Vorstandssitzungen zugänglich gemacht. Zusätzlich hat die KSBS in eigener Initiative verschiedene Stufen- und Fachgremien institutionalisiert, die den Austausch und die Mitwirkung der Beteiligten stärken sollen: erweiterter KV Primarstufe, Stufenkonferenz Sek. I, KoVo Gym & FMS, KoVo Berufsschulen. Das jüngste Kind ist die «Fachkonferenz Tagesstrukturen», die am 4. November 2021 von 33 Mitarbeitenden und Leitungen aus 25 Tagesstruktur-Standorten gegründet wurde.

Mitgliedschaft und direkter Behördenkontakt
In der KSBS sind von den Mitarbeitenden der Tagesstrukturen bis zu den Schulleitungen rund 4800 ED-Mitarbeitende organisiert, denn die Mitgliedschaft gehört zum gesetzlich vorgeschriebenen Amtsauftrag für «alle an der betreffenden Schule mit pädagogischem Auftrag angestellten Personen sowie die Schulleitung» (SG, SK-O). Die KSBS ist in mancher Hinsicht vom Gesetzgeber explizit von der hierarchischen Führungsstruktur über die Linie (= Dienstweg) ausgenommen. Als «Organ des Erziehungsdepartements» und «Ansprechpartnerin der Schulbehörden» ist ihr der direkte Zugang zu den schulbehördlichen Leitungsgremien gewährt, mit denen sie «in einem regelmässigen Austausch» steht (KSBS-VO). Auch auf diesem Weg können die verschiedenen KSBS-Gremien ihre Anliegen und Anträge in die Bildungsverwaltung einbringen. In der gesetzlich vorgeschriebenen Gesamtkonferenz (GeKo) drückt sich das umfassende Anhörungs- und Mitwirkungsrecht der KSBS stellvertretend aus: Dort können KSBS-Mitglieder Anträge stellen und diese in betriebsinterner Vollversammlung zur Abstimmung bringen lassen.

Michael Bochmann Grob und Simon Rohner, Präsident und Vizepräsident der KSBS

Schulische Partizipation: Was braucht es?

Drei der vier teilnehmenden Konverenzvorstandsmitglieder: Judith Röthlin, Elvan Yildiz und Veronika Mikisch (von links): es fehlt Marc Villinger.
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Drei der vier teilnehmenden Konverenzvorstandsmitglieder: Judith Röthlin, Elvan Yildiz und Veronika Mikisch (von links): es fehlt Marc Villinger. Foto Grischa Schwank

Die Themen, Umstände und Anliegen an den Schulen mögen unterschiedlich sein. Die Gelingensbedingungen aber sind dieselben: Mitglieder verschiedener Konferenzvorstände (KV) erzählen in vier Textblöcken von ihren Erfahrungen mit den Kollegien. Der fünfte Text ist quasi eine «Kollage» der Aussagen. Am Gespräch teilgenommen haben: Veronika Mickisch (KV Gymnasium Kirschgarten, Klassen- und Fachlehrperson), Judith Röthlin (KV Sekundarschule St. Alban, Klassen- und Fachlehrperson), Elvan Yildiz (KV Primarstufe Erlenmatt, Lehrperson 2. Zyklus), Marc Villinger (KV Primarstufe Bläsi, Klassen- und Fachlehrperson 1. Zyklus).

Aufgezeichnet von Michael Bochmann Grob 

Treffen in ungewohntem Rahmen

«Wir hatten kürzlich einen gelungenen Anlass. Wir haben das Kollegium gefragt: Wie hat sich die Arbeitsbelastung in letzter Zeit verändert? Der Auftrag kam aus der Stufenkonferenz Sek I. Ein erster Aufruf an alle hatte kaum Echo ausgelöst. Da haben wir Einzelne aus dem Kollegium angeschrieben und zu einem Treffen ausserhalb des Schulhauses eingeladen. Dabei haben wir auf einen guten Mix geachtet, also einen repräsentativen Querschnitt des Kollegiums. Das Treffen war ganz informell, fast eine Plauderei. Wir hatten viele positive Rückmeldungen, diese Art wurde geschätzt. Wir konnten etwas wieder aufnehmen, was in der Corona-Zeit verloren gegangen war: Früher sind viele nach der Präsenzzeit noch zusammengesessen und haben sich in ungezwungenem Rahmen weiter ausgetauscht. Da das Thema klar war (Arbeitsbelastung) und auch, was mit dem Material nachher geschieht (der KV bringt es in die StuKo zurück), blieb der Fokus erhalten und trotzdem war es ein ungezwungener Anlass. Wir haben uns Notizen gemacht und konnten viel Wichtiges zusammentragen. Solche Anlässe stärken die Beziehungen zwischen KV und Kollegium, aber auch zwischen den Lehrpersonen. Es wird eine Vertrauensbasis gelegt. Es hat uns als KV darin bestärkt, solche Anlässe häufiger, vielleicht regelmässig durchzuführen. Ein nächstes Mal schreiben wir dann einfach andere Kolleginnen und Kollegen an und laden sie ein. Über das Treffen und seine Inhalte informieren wir dann über unsere Info-Kanäle: in Teams, an den gemeinsamen Startanlässen vor Beginn der Präsenzzeit.»

Anspruchsvolle Vielschichtigkeit

«Die KV-Arbeit hat mehrere Ebenen: die Beziehung zur Schulleitung, zum Kollegium, zwischen den KV-Mitgliedern. Wichtig ist ein gemeinsames Zeitfenster für die KV-Mitglieder, das ging bei der Pensenlegung für dieses Schuljahr leider vergessen. Die Schulleitung hat dem KV aber eine Ganztages-Retraite ermöglicht. Das war enorm hilfreich und produktiv für unsere interne Zusammenarbeit; wir möchten das wiederholen. Besonders beschäftigt mich die Beziehung zum Kollegium: Wir versuchen das Kollegium in Prozesse miteinzubeziehen und an den Konferenzen zu ‹aktivieren›. Wir haben in Teams ein eigenes KV-Team: mit einer digitalen Pinnwand, mit der Möglichkeit, den KV privat zu kontaktieren, mit den KSBS- und FSS-Expressen. Wir haben unsere KV-Sitzungen für andere geöffnet, haben neue Konferenz-Gefässe eingeführt. Aber irgendwie kommt kaum Echo aus dem Kollegium. Das fehlt mir enorm: das Gefühl, als KV in engem Austausch mit dem Kollegium zu stehen, die Bedürfnisse der Kolleginnen und Kollegen zu kennen. Nur so kann der KV zum Kollegiums-Sprachrohr werden. Vielleicht wollen wir als KV auch zu viel. Vielleicht sollten wir uns nicht für alles verantwortlich fühlen, sondern aus all den Aufgaben und Prozessen einige auswählen und priorisieren. Sich vermehrt auf das konzentrieren, was Ergebnisse bringt und Spass macht. Mut zur Lücke und Fokus auf das, was notwendig ist und funktioniert. Daraus kann man Energie und Power ziehen.»

In einem neuen Schulhaus, in einem jungen Kollegium

«Unser KV hat in einem ganz neuen Schulhaus angefangen, es war zum Teil noch eine Baustelle, alles musste zuerst aufgegleist werden. Als junges Kollegium hatten wir kaum Erfahrungen: die Rolle des KV, die Rechte und Pflichten von Lehr- und Fachpersonen. Wir wurden da recht allein gelassen, haben alles selber zusammengesucht, viel ausprobiert. Sehr unterstützend war das KV-Pflichtenheft der KSBS und später dann auch, dass die neue Schulleitung selbst KV-Mitglied wurde. Heute werden wir von der Schulleitung wahr- und ernst genommen. Sie hört uns an und hat eine offene Tür, auch bei Anliegen, die für sie vielleicht nicht so wichtig sind. Unser Kollegium ist sprunghaft angewachsen, das war eine Herausforderung. Wir haben Flyer verteilt, auf denen die Aufgaben und Möglichkeiten eines KV aufgezeigt wurden. Haben über die Rechte und Pflichten der Lehrpersonen informiert, über Partizipation bei Schul- und Unterrichtsentwicklung, bei der Schulorganisation. Es ist einfach spannend und bereichernd: über den Tellerrand des eigenen Unterrichts hinausblicken auf die Schule als grösseres Ganzes. Mit der Zeit sind die Leute zu uns gekommen und haben uns persönlich über Anliegen informiert. Der Teams-Kanal wurde allerdings kaum genutzt, da war alles sofort öffentlich, die Hemmschwelle offensichtlich zu gross. Als KV muss man einfach dem Kollegium die Möglichkeiten zur Kommunikation und Partizipation aufzeigen, sie immer wieder darauf hinweisen. Und bereit sein, wenn es tatsächlich mal brennt.»

Mitwirkung bedeutet auch Reibung

«Mir fallen zwei Beispiele für gelungene Partizipation ein. Zum einen die Entwicklung des Förderkonzepts: Da konnten wir auf Erfahrungen zurückgreifen, die wir vor über zehn Jahren mit einem Profi (externe Prozessbegleitung) gemacht haben. Wir mandatieren eine Gruppe, die das Erarbeitete im Kollegium spiegelt und das grundsätzliche OK abholt, um dann mit dem Input weiterzuarbeiten. Zum anderen die Kollegiumsbefragung nach dem Lockdown zu Erfahrungen und ‹Learnings› mit Fernunterricht und Digitalisierung. Der Rücklauf war hoch, wir hatten einen guten Fragebogen, sind bei ausstehenden Antworten hartnäckig geblieben. So konnten wir abbilden, wo das Kollegium steht, und die Resultate sind direkt in die AG Digitalisierung eingeflossen. Als KV muss man den Bedarf beim Kollegium abklären. Wir hatten ein Fish-Bowl-Gefäss in unseren Konferenzen und haben ein Whiteboard für Anliegen im LP-Zimmer. Beides funktioniert nicht richtig, für diese Formen scheint kein Bedarf zu bestehen. Ganz wichtig ist, dass man die Art der Partizipation klärt: Geht es um reine Anhörung oder echte Mitwirkung mit Beteiligung an den Entscheiden? In unserer Steuergruppe (mit SL, KV und mandatierten Lehr- und Fachpersonen) haben wir gemerkt: Bei Entscheidungen muss man genau hinschauen und kritisch hinterfragen. Sind die Prozessschritte klar? Stimmt das Timing? Ist der Grad der Mitwirkung geklärt? Sonst entsteht das frustrierende Gefühl von Scheinpartizipation. Also Klarheit einfordern und selber zur Klärung beitragen. Man muss auch mal Dissens aushalten können. Ohne Reibung funktioniert Mitwirkung nicht. Die Steuergruppe trifft sich in einem eigenen Raum, wo auch mal hitzig diskutiert werden kann, danach verlassen wir diesen Raum aber wieder zusammen. Es gilt, immer konstruktiv zu bleiben, für die gesamte Schule zu denken.»

Konferenzvorstand und Schulleitung

Kontakt und Austausch mit der Schulleitung müssen regelmässig und institutionalisiert sein. Vor allem bei der Planung der Schulkonferenzen, aber nicht nur. Der KV ist eine Art privilegierter Austauschpartner der Schulleitung. Dafür braucht es Vertrauen und Kontinuität. Die Gefahr besteht, dass man die unterschiedlichen Rollen und Perspektiven vergisst. Es geht um konstruktive Zusammenarbeit zwischen KV und SL zum Wohl der Gesamtschule, aber der KV bleibt die Vertretung der Lehr- und Fachpersonen. Der KV hat keine Weisungsbefugnis oder Leitungsfunktion ausserhalb der Konferenz, er ist keine «erweiterte Schulleitung». Gerade bei Konflikten oder Auseinandersetzungen ist das wichtig: Rollen klären, Grenzen ziehen, Transparenz schaffen. Dissens muss man offen aussprechen und auf den Tisch legen können. Besonders bei der Schul- und Unterrichtsentwicklung muss der KV die Beteiligung des Kollegiums auch einfordern. Kollegium und KV sollen ihre Anliegen und Bedürfnisse formulieren und einbringen, zum Beispiel zu Form und Inhalt von gesamtschulischen Weiterbildungen. Bei ED-Befragungen wird manchmal nur die Schulleitung gefragt, aber die LP-Meinung muss auch erfragt werden. Auf lange Sicht ist echte Partizipation für alle Beteiligten, Schulleitungen wie Lehr- und Fachpersonen, entlastend und schafft Synergien, Vertrauen und Identifikation.

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