Sie sind hier: Startseite / Publikationen / Basler Schulblatt / Artikel / Partizipation – aber wie?

Artikelaktionen

Partizipation – aber wie?

08.12.2021
Partizipation? Klar, klingt gut! Aber was heisst das genau? Was können wir als Schule, was kann ich als Lehrperson da konkret tun? Das Schulblatt hat sich an vielen Schulen umgehört. Und Erstaunliches erfahren!
Bild Legende:

Der Begriff Partizipation meint Mitsprache, Beteiligung und wird vor allem in der Politik verwendet. Die Schulen erleben Kinder und Jugendliche in der Regel als wenig partizipativ. Tatsächlich ist an der Schule nicht alles verhandelbar. Manches aber schon. Mehr noch: Schulen sind sogar verpflichtet, Mitwirkung zu ermöglichen. Viele Schulen tun das schon lange, sei’s im Klassenzimmer, auf Schulebene, im Zusammenhang mit Umbauten oder hochpolitisch mit Schulparlamenten. Das Schulblatt zeigt anhand ganz unterschiedlicher Beispiele, was möglich ist und wo man Unterstützung und Rat bekommt.
Und was ist mit Mitsprache und Mitwirkungsmöglichkeiten der Lehrpersonen? Wie können sie sich Gehör verschaffen? Das schildert die Kantonale Schulkonferenz KSBS in ihrer Rubrik.
Ziel von Partizipation ist es, Menschen zu verantwortlichem und selbstbestimmtem Handeln zu befähigen respektive ihnen solches zu ermöglichen. Das geht auf allen Stufen. Und ist eine Frage der Haltung.

Partizipation beginnt ganz früh

Die Schulen haben den klaren Auftrag, demokratische Prozesse zu üben. Das ist auf allen Stufen möglich.

Unbestritten ist: Partizipation stärkt das Selbstvertrauen und das Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen. Partizipation führt zu einer höheren Lernmotivation und ist eine wichtige Voraussetzung für mehr Lernerfolg. Im Lehrplan 21 sind diesbezüglich klare Bildungsziele formuliert. Aber was davon kommt im Schulalltag auch wirklich an?
Demokratinnen und Demokraten fallen nicht vom Himmel. Um eine demokratische Haltung zu entwickeln, müssen Menschen erst Erfahrungen sammeln können. Damit kann man nicht früh genug anfangen. Bereits im geschützten Familienkreis lernen Kinder im Idealfall, wie Entscheidungsprozesse laufen und wie sie eigene Interessen anmelden können. Das Spektrum an Themen und der Kreis, in dem sie sich einbringen können, weitet sich schon vor Schuleintritt immer mehr aus. Nicht umsonst bietet das Kinderbüro deshalb bereits für Kitas Kurse an. Dort wird den Mitarbeitenden gezeigt, wie schon Vorschulkinder positive Erfahrungen mit Partizipation sammeln können.

Klare Vorgaben auf allen Stufen
Das Grundrecht auf Partizipation, wie es in Artikel 12 der UN-Kinderrechtskonvention verankert ist, gilt zwar schon lange vor Schuleintritt. Mit dem Eintritt in den Kindergarten stehen aber neben den Eltern auch die Schulen in der Verantwortung: Sie müssen dafür sorgen, dass diese hehren Mitwirkungsrechte nicht nur toter Buchstabe bleiben. Was dies konkret bedeutet, ist im Kanton Basel-Stadt in der sogenannten Schülerinnen- und Schülerverordnung zum Schulgesetz geregelt. In dieser Verordnung sind in Einklang mit der UN-Konvention Pflichten und Rechte der Schülerinnen und Schüler aller Stufen verbindlich geregelt. Diese haben demnach nicht nur das Recht auf «Meinungsäusserung und Informationen». Sie müssen bei allen sie betreffenden Fragen auch angehört werden. Explizit erwähnt ist beispielsweise in Paragraf 4, dass sie beim Erlass einer Hausordnung schon auf der Primarstufe miteinzubeziehen sind.

Klassenrat und Schülerparlament
Vorgegeben sind auch die Strukturen, über die Kinder und Jugendliche ihre Bedürfnisse in schulische Entscheidungsprozesse einbringen können. Auf Klassenebene sind dies Klassenräte oder Klassensprechende, die als Ansprechpartner der Lehrpersonen basisdemokratisch bestimmt werden. Die Klassensprechenden können sich zu einem Schülerinnen- und Schülerrat zusammenschliessen. Dort, wo es diese Parlamente gibt, muss die Schulleitung geeignete Räume für Sitzungen während der Schulzeit zur Verfügung stellen. Und ab der Sekundarstufe haben diese Räte sogar das Recht, aus ihren Reihen jemanden in den Schulrat beziehungsweise später in die Schulkommission zu delegieren.

Noch nicht überall installiert
Was ein Schülerinnen- und Schulrat bereits auf der Primarstufe praktisch bewirken kann, zeigt die Reportage aus einer Ratssitzung an der Primarschule Sevogel (weiter unten). Allerdings: Auf Volksschulstufe haben aufgrund der «Kann»-Formulierung in der Verordnung noch längst nicht alle Standorte einen Schülerinnen- und Schülerrat eingeführt. Bei den weiterführenden Schulen sind Parlamente zwar mittlerweile die Regel. Weil sie sich personell ständig erneuern müssen, gibt es aber an allen Schulen starke Schwankungen, wie aktiv Partizipation tatsächlich gelebt wird. Das zeigt das Beispiel Gymnasium Kirschgarten (vgl. Text weiter unten).

Querschnittaufgabe für alle Schulstufen
Ob nun mit oder ohne Schulparlament: Das Einüben von demokratischen Prozessen ist an den Schulen eine Querschnittaufgabe. Sie zieht sich durch alle Fächer und über alle Stufen wie ein roter Faden. Der Lehrplan auf der Volksschulstufe formuliert dazu klare inhaltliche Ziele. Unter dem Bildungsziel «Schule als Gestaltungs-, Lern- und Lebensraum» des Lehrplans 21 ist etwa zu lesen: «Das soziale Zusammenleben, die Gemeinschaft und der Unterricht werden von allen Beteiligten mitgestaltet. Die Schülerinnen und Schüler lernen, sich in der Schule ihrem Alter entsprechend einzubringen und auf Klassen- und Schulebene mitzuwirken.»
Am Anfang sind es noch weitgehend schulinterne Themen, auf die Schülerinnen und Schüler direkten Einfluss nehmen können. Mit zunehmendem Alter werden es immer mehr Bereiche, in denen Jugendliche mitbestimmen können. Oder anders formuliert: Die Grenzen zwischen schulinterner Partizipation, politischer Bildung und gesellschaftlichem Engagement werden zunehmend fliessend. Aus mitredenden Kindergartenkindern werden so – hoffentlich – mündige Bürgerinnen und Demokraten.

Peter Wittwer

Diskutieren, abwägen, entscheiden

Bild Legende:
Eine Street-Soccer-Anlage im Schulhof? Das Kinderparlament Sevogel diskutiert die Vor- und Nachteile. Foto Yvonne Reck

Die Primarschule Sevogel nimmt ihr Kinderparlament ernst. Das Schulblatt hat eine Sitzung besucht.  

Alle da? Zwei fehlen noch … Jetzt sind auch die beiden 1. Klass-Kinder eingetrudelt, die zweite Sitzung des Kinderparlaments Sevogel in diesem Schuljahr kann beginnen. Die beiden Präsidenten begrüssen die Kinder, eröffnen und führen die Sitzung. Zwar sind auch zwei Lehrpersonen und die Schulleiterin dabei, sie halten sich aber im Hintergrund, klären bei Bedarf und schreiben das Protokoll. Der Lead liegt bei den Präsidenten.
Heutiges Haupttraktandum: Wie könnten wir unseren riesigen Estrich besser nutzen? Diese Frage haben die Delegierten nach der letzten Sitzung in ihre Klassen getragen und dort diskutiert. Es kamen ganz viele Ideen zusammen, die jetzt von den jeweiligen Delegierten eingebracht, erklärt und begründet werden: ein zusätzlicher Pausenraum für Regentage, ein Spielzimmer, eine Kuschelecke, Plätze für Gruppenarbeiten, ein Museum, ein Küchenzimmer, ein Theaterraum, ein Billard-Raum, ein Labor für Experimente, ein Kinoraum … Schon beim Vortragen der Vorschläge merken die Kinder: Manche Ideen könnte man auch kombinieren. Und natürlich bräuchte es Regeln. Leider auch etwas Zeit, wie die Schulleiterin Sabine Schmidt bedauernd mitteilen muss, denn: «An einem Umbau sind ja ganz viele Leute beteiligt. Und er kostet auch Geld. Aber ich werde eure tollen Ideen weiterleiten. Versprochen!»

Kreativ und vernünftig
Anderes Thema: Aus einer Klasse kommt der Wunsch, im Schulhof eine Street-Soccer-Anlage aufzustellen. Wäre das cool oder nimmt das zu viel Platz weg? Auch hier entsteht sofort eine rege Diskussion über die Vor- und Nachteile eines mit Banden und Netzen abgegrenzten Fussballfeldes. Den anderen Kindern flögen keine Bälle mehr an den Kopf. Aber so eine Anlage ist teuer. Vielleicht könnte man zuerst mal eine mieten? Oder warum nicht die Turnhalle in der Pause öffnen? Da könnten dann auch andere Spiele gespielt werden, zum Beispiel Basketball. Oder jeden Tag eine andere Sportart. Dass es da Regeln und Absprachen braucht, ist allen klar. Kann man Strassenkleider tragen? Znüni essen? Wer sorgt fürs Aufräumen? Wer passt auf? Die anwesenden Lehrpersonen versprechen, den Vorschlag in der nächsten Schulkonferenz im Kollegium zu diskutieren. Die anwesenden Delegierten wiederum müssen das Anliegen in ihren Klassen weiter besprechen. An der nächsten Kinderparlamentssitzung kann man dann vielleicht schon über die Details reden.
Es ist beeindruckend, wie ernsthaft und vernünftig die Schülerinnen und Schüler ihre eigenen Ideen einordnen. Alle dürfen ausreden, allen hört man zu – manch ein Erwachsenen-Gremium könnte da noch was lernen. Klar, die Erstklässler in der Runde sind noch zaghaft. Beschränken sich auf Zuhören und Zugucken. Aber auch sie werden die besprochenen Themen in ihre Klassen tragen. Möglich, dass sie nicht alles exakt verstanden haben. Aber alle Lehrpersonen bekommen ja das Protokoll, sodass sie helfen können.

Von Beginn weg ein Erfolg
Das Kinderparlament der Primarschule Sevogel gibt es erst seit gut einem Jahr. Bereits konnten viele Vorschläge umgesetzt werden: Bälle für die neue Ballkiste zum Beispiel. Oder den Tramwagen im Schulhof verschönern und ausbauen. Jede Klasse wählt Anfang Schuljahr zwei Delegierte ins Parlament, das sich fünfmal pro Jahr zu einer Sitzung trifft. Das Interesse der Schülerinnen und Schüler ist riesig. Darum werden die Delegierten in der Regel für ein Jahr gewählt. Die beiden 6. Klassen bestimmen zusätzlich noch je einen Präsidenten oder eine Präsidentin. Diese bereiten zusammen mit den beiden fürs Kinderparlament zuständigen Lehrpersonen die Sitzungen vor. Im ersten Jahr waren vier Sitzungen geplant. Das war dem Kinderparlament zu wenig. So viele Ideen, so wenig Zeit! Dem Antrag wurde entsprochen. Ein schönes Zeichen.

Yvonne Reck Schöni

Pausenhof(t)räume und coole Arbeitsplätze

Drei der vier teilnehmenden Konverenzvorstandsmitglieder: Judith Röthlin, Elvan Yildiz und Veronika Mikisch (von links): es fehlt Marc Villinger.
Bild Legende:
Gelungene Beispiele der Mitwirkung von Kindern bei der Schulgestaltung: Die Einrichtung von kindergerechten Arbeitsplätzen auf dem Gang...

An der Primarschule Neubad durften Kinder beim Umbau kreativ mitwirken.

Gebaut wird an den Basler Schulen in den letzten Jahren viel, sehr viel. Doch entspricht das, was da entsteht, wirklich den Bedürfnissen der Nutzerinnen und Nutzer? Die Primarschule Neubad hat die Kinder bei der Gestaltung des Schulraums mitreden lassen. Und dabei gute Erfahrungen gemacht. Kaum ein Bereich eignet sich so gut, die Kinder mitreden zu lassen, wie die räumliche Gestaltung des Schulareals. An mehreren Basler Schulen wurden deshalb in den letzten Jahren Partizipationsprojekte lanciert. Oft geschah das auf Anraten der Abteilung Raum und Anlagen im Erziehungsdepartement. Deren Leiter Stephan Hug sorgt seit Jahren dafür, dass im Rahmen der Schulraumoffensive oder begleitend dazu Mittel für bauliche Partizipationsprojekte zur Verfügung stehen. So können die Kinder als künftige Profiteure der Millioneninvestitionen frühzeitig ihre Anliegen einbringen.

drumrum-Raumschule
Die Primarstufe Neubad  ist eine der Schulen, die sich in Sachen Kinder-Partizipation stark engagieren. Gleich zweimal, 2016 bei der Einrichtung von Schüler(innen)arbeitsplätzen und später bei der Umgestaltung der Pausenhöfe, hat Schulleiter Jörg Erat die rund 800 Schülerinnen und Schüler aktiv miteinbezogen. Dabei hat er in beiden Fällen auf die Unterstützung der drumrum-Raumschule zählen können. Der gemeinnützige Verein hat in Basel-Stadt schon mehrere Schulen bei experimentellen und partizipativen Baukulturprojekten beraten und begleitet. So etwa bei der Verwirklichung von «Pausenhof(t)räumen» in der PS Neubad oder bei der Realisierung von «Gang(t)räumen» in der PS St. Johann. Auch bei der Planung der «Lern(t)räume» für den Neubau der PS Lysbüchel hat die drumrum-Raumschule dafür gesorgt, dass die Ansprüche der Kinder berücksichtigt wurden – beispielsweise mit einem riesigen Kletternetz über mehrere Stockwerke.

Ein Mehrwert für alle
Jörg Erat von der Schulleitung der PS Neubad ist überzeugt: «Kinder in die Planung des Schulraums miteinzubeziehen, ist aufwändig. Doch es lohnt sich! Das Resultat ist nachhaltiger und am Schluss resultiert ein Mehrwert für alle.» Ein Aha-Erlebnis war für ihn das Einrichten von Arbeitsplätzen in den relativ breiten Schulhausgängen vor ein paar Jahren. «Wir dachten, dass es vor allem Tische und Stühle braucht. Als wir dann die drumrum-Raumschule zuzogen, merkten wir rasch, dass die Kinder nicht unbedingt im Sitzen arbeiten möchten. Sie ziehen sich gern mal in geschützte Räume zurück, in denen sie sich auch liegend in etwas vertiefen können.» So entstanden Module, die in Variationen seit ein paar Jahren auf den Gängen aufgestellt sind.

Bild Legende:
... und einer Kletteranlage auf dem Pausenhof der Primarschule Neubad. Fotos Lara Zimmermann

Klettern statt rutschen
Als die PS Neubad 2018 beschloss, den verwinkelten Pausenraum zwischen den Gebäuden besser zu nutzen, war klar: Auch hier sollen die Kinder mitreden können. In einem aufwändigen Prozedere wurden die Vorstellungen der Kinder wiederum durch die drumrum-Raumschule und das Landschaftsarchitekturbüro Bryum erfasst und modellhaft umgesetzt. Aus den vielen Wünschen wurde schliesslich das herausdestilliert, was innerhalb der rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen realisierbar war. «Am Schluss wurde zwar nicht die grosse Rutschbahn aus dem ersten Stock gebaut, die sich die Kinder anfänglich gewünscht hatten. Stattdessen haben wir uns für eine Kletterlandschaft entschieden, die den angemeldeten Bedürfnissen der Kinder nach Einschätzung der Profis noch mehr entgegenkommt.»

Kletteranlage ist ein absoluter Renner
Die Neugestaltung des Pausenareals ist noch lange nicht angeschlossen. Erste Erfahrungen mit dem bereits Realisierten zeigen aber: Die Profis lagen mit ihrer Einschätzung nicht falsch. Die Kletterlandschaft sei ein absoluter Renner, sagen Jörg Erat und sein Schulleitungskollege Markus Kenk. Weil der Andrang von Beginn weg riesig war, musste die Schule einen Nutzungsplan aufstellen. Dieser weist jeder Klassenstufe jeweils einen Wochentag zu, an dem sie diesen Teil des Pausenhofs nutzen darf. Die beiden Schulleiter hoffen, dass das Departement demnächst die nötigen Mittel für den Rest der partizipativen Neugestaltung des Pausenareals frei gibt. Damit werden dann neben den Hochbeeten, die bereits aufgestellt sind, weitere Zonen geschaffen, in denen sich Kinder wunschgemäss austoben, aber auch in ruhigere Ecken zurückziehen können.

Peter Wittwer

«Kindern muss man etwas zutrauen»

Schulen bieten ein ideales Umfeld, um mit Kindern partizipative Prozesse zu üben. Oft wissen Schulen aber nicht so genau, wie sie das Recht der Kinder auf Mitwirkung umsetzen sollen. Hier steht das Kinderbüro mit Rat und Tat zur Seite.

Soll man auf dem Schulareal Kaugummi essen dürfen? Ja, finden die Kinder einer Basler Primarschule. Nein, findet der Schulhauswart, der diesbezüglich negative Erfahrungen gemacht hat. Vorschlag aus dem Schülerparlament: Wir dürfen Kaugummi kauen und sorgen selber dafür, dass diese nicht das Areal verschmutzen. Schülerparlament, Schulleitung und Schulhauswart vereinbaren daraufhin eine Probezeit. Und siehe da: Während der Probezeit erkennen die Kinder, wie mühsam das Entfernen von Kaugummi ist. Also wird in Absprache mit der Schulleitung das Kaugummi-Verbot wieder eingeführt.

Partizipation ist ein Prozess
Diese Episode ist für Mirjam Rotzler, Leiterin des Kinderbüro Basel, ein Paradebeispiel dafür, wie Partizipationsprozesse mit Kindern funktionieren. Und was sie bewirken können. «Wichtig ist es, Kindermitwirkung als Prozess zu verstehen. Es geht nicht nur darum, Wünsche von Kindern einzuholen und sie dann zu erfüllen. Partizipation ist nicht in erster Linie das fertige Produkt, sondern der Weg dahin. Kinder sollen lernen und erfahren, wie Entscheidungsprozesse laufen und wie sie darauf Einfluss nehmen können.» Die Schule bildet dafür einen idealen Übungsplatz.
An den Schulen gibt oft das Einführen eines Schülerinnen- und Schülerrats den Anstoss, die Beratung des Kinderbüros in Anspruch zu nehmen. Nur: Parlamente auf Schulebene funktionieren nach den Erfahrungen von Mirjam Rotzler nur, wenn die Kinder zuvor schon im Kleinen erste Erfahrungen mit Partizipation gesammelt haben. «Wenn Kinder nicht gelernt haben, auf Klassenebene im Klassenrat mitzuwirken, nützt auch ein Parlament nichts.»

Nicht einfach nur Wünsche erfüllen
Auch bei Planung und Durchführung anderer partizipativer Projekte steht das Kinderbüro mit Rat und Tat zur Seite, sagt Katja Reichen. Als Projektleiterin beim Kinderbüro Basel hat sie schon manche Basler Schulen beim Einbezug der Kinder in die Gestaltung von Innen- und Aussenräumen beraten. Zuweilen wird sie auch als Coach zugezogen, wenn es später beispielsweise zu Nutzungskonflikten zwischen älteren und jüngeren Kindern kommt. Dabei macht sie immer wieder die Erfahrung, wie wichtig es ist, Kindern etwas zuzutrauen und diese auch ernst zu nehmen: «Wenn wir nicht einfach Spielregeln vorgeben, sondern mit allen Betroffenen an einen Tisch sitzen und Lösungen gemeinsam und möglichst auf Augenhöhe entwickeln, führt das zu ganz tollen Lernprozessen und Resultaten.» Auch bei der Gestaltung von Pausenhöfen geht es nicht primär darum, «Wünsche» der Kinder zu sammeln. Man muss herausfinden, wo sie sich wohl fühlen und wo nicht, respektive warum das so ist.

«Wir können nur den Samen säen»
Schulleitungen und Lehrpersonen empfinden ein solches Vorgehen oft als Herausforderung und zusätzlichen Aufwand. Auch wenn sie die Chancen von Partizipation im Grunde erkennen. Das Kinderbüro kann helfen, Lehrpersonen zu befähigen, partizipative Ideen umzusetzen. Konkret bieten Mirjam Rotzler und ihr Team zu diesem Zweck massgeschneiderte Weiterbildungen für ganze Kollegien zum Thema Partizipation an. Eine partizipative Schulkultur von unten her aufbauen, das müssen die Kollegien allerdings selber. «Wir können nur die Samen dazu säen», so Rotzler. «Damit diese reifen können, braucht es an einer Schule viel Zeit. Und es braucht engagierte Leute, die dazu schauen, dass die Samen keimen können.»

Peter Wittwer

Kinderbüro Basel und Schulen

Ein Überblick der Angebote, die das Kinderbüro Basel für Schulen anbietet, ist zu finden unter www.kinderbüro.ch. Dort stehen auch Angaben zum Polit-Baukasten, den das Schulblatt bereits in einem früheren Schwerpunkt zur politischen Bildung an Schulen vorgestellt hat (Nr. 4/2019). Die Angebote des Politbaukastens animieren Kinder und Jugendliche aller Schulstufen dazu, ihre Mitwirkungsrechte über den schulischen Rahmen hinaus auch bei gesamtgesellschaftlichen Fragen aktiv wahrzunehmen.  

«Mitbestimmung fördert das Demokratie-Verständnis»

Bild Legende:

Wie halten es die obersten Schulleiter mit der Mitsprache? Urs Bucher, Leiter Volksschulen, und Ulrich Maier, Leiter Mittelschulen und Berufsbildung, zum Thema Partizipation an den Schulen

Erinnern Sie sich an Mitsprachemöglichkeiten oder partizipative Projekte in der eigenen Schulzeit?

Urs Bucher: Also vor 200 Jahren? (lacht) Partizipation hat es da noch nicht gross gegeben. Man war damals noch ziemlich obrigkeitsgläubig. Im Gymnasium gab es eine Schülerorganisation. Die hatte ab und zu mal ein Gespräch mit der Schulleitung. Aber da ging es mehr um die Organisation eines Schulfestes und solche Sachen.

Warum sollten Schülerinnen und Schüler mitreden und mitgestalten können?

Es ist wichtig, dass Kinder lernen, eigene Ideen, Wünsche und Bedürfnisse erst mal wahrnehmen und äussern zu können. Und dass sie erfahren: Man hört mir zu, meine Meinung zählt. So fördern wir Eigenständigkeit und Selbstvertrauen der Kinder und Jugendlichen. Sie erleben, dass sie – mit Einschränkungen – mitbestimmen können. Dadurch entwickeln sie ein Demokratie-Verständnis, das ja für die Schweiz so zentral ist. Gelebte Demokratie von Kindsbeinen an entspricht auch der UN-Kinderrechtskonvention, die die Schweiz 1997 ratifiziert hat.

Wie können die Schulleitungen Wünsche und Anregungen bei der Volksschulleitung einbringen? Gibt es da Beispiele erfolgreicher Partizipation?

Es gibt verschiedene Instrumente. Meist werden die Anliegen in den Stufenkonferenzen eingebracht. Die gibt es für die Primarstufe und für die Sekundarstufe. Vieles lässt sich direkt und unkompliziert umsetzen. Manche Themen legt die Stufenleitung der Gesamt-Volksschulleitung vor, die dann darüber befindet. Ein weiteres Organ bilden die Gesamtschulleitungskonferenzen. Auch da können – vorab oder direkt an der Sitzung – Anträge gestellt und Anliegen formuliert werden.
In jüngerer Zeit haben wir zum Beispiel über Wahlverfahren und Mitsprache bei der Anstellung neuer Schulleitungen diskutiert. Auch die Ressourcen für Schulleitungen sind ein wichtiges Thema. Oder es kommen Vorschläge, wie man Prozesse rund um Covid-19 vereinfachen könnte. Es ist übrigens auch durchaus möglich, mit Anregungen und Anliegen direkt an mich zu gelangen!

Interview Yvonne Reck Schöni

 

Bild Legende:

Erinnern Sie sich an Mitsprachemöglichkeiten oder partizipative Projekte in der eigenen Schulzeit?

Ulrich Maier: Mitsprache war zu der Zeit, in der ich in der Ostschweiz in die Schule ging, bis zum Gymnasium gar kein Thema. Dann war sie stark formalisiert: Jede Klasse wählte zwei Sprecher, die einen Schulsprecher bestimmten, der dann bei der Schulleitung unsere Anliegen einbringen konnte. Soweit ich mich erinnere, ging es schon damals stark um Themen wie Notengerechtigkeit oder Pausenverpflegung. Hängen geblieben ist bei mir ein Konflikt, bei dem der Rektor am Schluss uns Klassensprechern Recht gegeben und gegen eine Lehrperson entschieden hat. Davon habe ich die Erfahrung mitgenommen, dass sich über demokratische Prozesse durchaus etwas verändern lässt.

Warum sollten Schülerinnen und Schüler mitreden und mitgestalten können?

Eine Gesellschaft wie unsere funktioniert nur, wenn nicht einfach selbstverständlich Dienstleistungen des Staates konsumiert werden. In einer Demokratie mitwirken zu wollen, geht einher mit der Pflicht, Verantwortung zu übernehmen. Es ist deshalb wichtig, dass Schulen gute Rahmenbedingungen für Partizipation schaffen. Im nachobligatorischen Bereich sind es oft schon gesamtgesellschaftliche Fragen, die in die Schulen hineingetragen werden. Das hat man sehr schön bei der Klimabewegung gesehen, die ganz neue Formen der basisdemokratischen Mitwirkung gesucht und erprobt hat. 

Können Sie Beispiele erfolgreicher Partizipation aus Ihrem Bereich nennen?

Der ewigen Klage, die Jugend sei früher viel weniger konsumorientiert gewesen als heute, kann ich mich nicht anschliessen. Gerade die Klimabewegung hat gezeigt, dass bei vielen Schülerinnen und Schülern durchaus ein Wille vorhanden ist, sich aktiv für das Gemeinwohl einzusetzen. Unsere Aufgabe ist es, die Rahmenbedingungen zu schaffen, dass Partizipation möglich wird – und dann gilt es natürlich auch, die Anliegen ernst zu nehmen. Bei einigen hat das in Basel offenbar Wirkung gezeigt: Eine meiner ehemaligen Ansprechpartnerinnen in der Klimabewegung hat sich nach der Matur in die Schulkommission eines Gymnasiums wählen lassen. Und ein anderer politisiert mittlerweile sogar schon im Grossen Rat.  

Interview Peter Wittwer

Partizipation beginnt ganz früh

Die Schulen haben den klaren Auftrag, demokratische Prozesse zu üben. Das ist auf allen Stufen möglich.

Unbestritten ist: Partizipation stärkt das Selbstvertrauen und das Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen. Partizipation führt zu einer höheren Lernmotivation und ist eine wichtige Voraussetzung für mehr Lernerfolg. Im Lehrplan 21 sind diesbezüglich klare Bildungsziele formuliert. Aber was davon kommt im Schulalltag auch wirklich an?
Demokratinnen und Demokraten fallen nicht vom Himmel. Um eine demokratische Haltung zu entwickeln, müssen Menschen erst Erfahrungen sammeln können. Damit kann man nicht früh genug anfangen. Bereits im geschützten Familienkreis lernen Kinder im Idealfall, wie Entscheidungsprozesse laufen und wie sie eigene Interessen anmelden können. Das Spektrum an Themen und der Kreis, in dem sie sich einbringen können, weitet sich schon vor Schuleintritt immer mehr aus. Nicht umsonst bietet das Kinderbüro deshalb bereits für Kitas Kurse an. Dort wird den Mitarbeitenden gezeigt, wie schon Vorschulkinder positive Erfahrungen mit Partizipation sammeln können.

Klare Vorgaben auf allen Stufen
Das Grundrecht auf Partizipation, wie es in Artikel 12 der UN-Kinderrechtskonvention verankert ist, gilt zwar schon lange vor Schuleintritt. Mit dem Eintritt in den Kindergarten stehen aber neben den Eltern auch die Schulen in der Verantwortung: Sie müssen dafür sorgen, dass diese hehren Mitwirkungsrechte nicht nur toter Buchstabe bleiben. Was dies konkret bedeutet, ist im Kanton Basel-Stadt in der sogenannten Schülerinnen- und Schülerverordnung zum Schulgesetz geregelt. In dieser Verordnung sind in Einklang mit der UN-Konvention Pflichten und Rechte der Schülerinnen und Schüler aller Stufen verbindlich geregelt. Diese haben demnach nicht nur das Recht auf «Meinungsäusserung und Informationen». Sie müssen bei allen sie betreffenden Fragen auch angehört werden. Explizit erwähnt ist beispielsweise in Paragraf 4, dass sie beim Erlass einer Hausordnung schon auf der Primarstufe miteinzubeziehen sind.

Klassenrat und Schülerparlament
Vorgegeben sind auch die Strukturen, über die Kinder und Jugendliche ihre Bedürfnisse in schulische Entscheidungsprozesse einbringen können. Auf Klassenebene sind dies Klassenräte oder Klassensprechende, die als Ansprechpartner der Lehrpersonen basisdemokratisch bestimmt werden. Die Klassensprechenden können sich zu einem Schülerinnen- und Schülerrat zusammenschliessen. Dort, wo es diese Parlamente gibt, muss die Schulleitung geeignete Räume für Sitzungen während der Schulzeit zur Verfügung stellen. Und ab der Sekundarstufe haben diese Räte sogar das Recht, aus ihren Reihen jemanden in den Schulrat beziehungsweise später in die Schulkommission zu delegieren.

Noch nicht überall installiert
Was ein Schülerinnen- und Schulrat bereits auf der Primarstufe praktisch bewirken kann, zeigt die Reportage aus einer Ratssitzung an der Primarschule Sevogel (Artikel oben). Allerdings: Auf Volksschulstufe haben aufgrund der «Kann»-Formulierung in der Verordnung noch längst nicht alle Standorte einen Schülerinnen- und Schülerrat eingeführt. Bei den weiterführenden Schulen sind Parlamente zwar mittlerweile die Regel. Weil sie sich personell ständig erneuern müssen, gibt es aber an allen Schulen starke Schwankungen, wie aktiv Partizipation tatsächlich gelebt wird. Das zeigt das Beispiel Gymnasium Kirschgarten (vgl. Beispiele weiter unten).

Querschnittaufgabe für alle Schulstufen
Ob nun mit oder ohne Schulparlament: Das Einüben von demokratischen Prozessen ist an den Schulen eine Querschnittaufgabe. Sie zieht sich durch alle Fächer und über alle Stufen wie ein roter Faden. Der Lehrplan auf der Volksschulstufe formuliert dazu klare inhaltliche Ziele. Unter dem Bildungsziel «Schule als Gestaltungs-, Lern- und Lebensraum» des Lehrplans 21 ist etwa zu lesen: «Das soziale Zusammenleben, die Gemeinschaft und der Unterricht werden von allen Beteiligten mitgestaltet. Die Schülerinnen und Schüler lernen, sich in der Schule ihrem Alter entsprechend einzubringen und auf Klassen- und Schulebene mitzuwirken.»
Am Anfang sind es noch weitgehend schulinterne Themen, auf die Schülerinnen und Schüler direkten Einfluss nehmen können. Mit zunehmendem Alter werden es immer mehr Bereiche, in denen Jugendliche mitbestimmen können. Oder anders formuliert: Die Grenzen zwischen schulinterner Partizipation, politischer Bildung und gesellschaftlichem Engagement werden zunehmend fliessend. Aus mitredenden Kindergartenkindern werden so – hoffentlich – mündige Bürgerinnen und Demokraten.

Peter Wittwer

 

Von WC-Bürsten bis Gender-Diskussion

Beispiele aus allen Schulstufen zeigen, dass viele Schulen punkto Mitwirkung schon gut unterwegs sind. 

Die WC-Bürsten im Gotthelf

Das Schülerparlament der Primarschule Gotthelf setzt sich nicht nur für Spiel und Spass ein, wie etwa den Kaugummi-Tag oder den Verkleidungstag. Es beantragt auch strengere Regeln fürs Benutzen der Nestschaukeln oder stellt einen Antrag auf WC-Bürsteli, wie die Schulleitung neulich erfreut zur Kenntnis nahm. Im weissen Ideen-Briefkasten fand sie ein Couvert mit einer sorgfältigen, aufwändigen Zeichnung eines Schulhaus-WCs (zu erkennen an den schwarz-weissen Bodenplättli), und zwar einmal in sauberem und einmal in braun-verschmutztem Zustand. Im Brief dazu stand: Wir würden gern das WC so verlassen, wie wir es antreffen. Aber das geht ja nicht ohne WC-Bürsten. Das schien einleuchtend. Der Schulwart besorgte daraufhin die nötigen Geräte – und seither gibt es keine Ausreden mehr. Auch der Name der Bildungslandschaft, die derzeit im Gotthelfquartier im Aufbau ist, wurde nach Diskussionen in den Klassen vom Schülerparlament gewählt: «QuaKiGo». Steht für: Quartier Kids Gotthelf. Und auch das Logo entstand demokratisch: ein Frosch.
Yvonne Reck Schöni

Das Ideenbüro im Isaak Iselin

«Wir möchten einen Profi-Fussballschiedsrichter in der Pause.» Dieser Wunsch landete im Ideen-Briefkasten der Primarschule Isaak Iselin. Der Wunsch wurde erfüllt! Zumindest für einen Tag. Vielleicht, weil sich Expertinnen und Experten drum gekümmert haben, nämlich Schülerinnen und Schüler einer 6. Klasse. Einmal pro Woche trifft sich jeweils eine Vierergruppe aus dieser Klasse im Ideenbüro und diskutiert die Wünsche, die im Verlauf der Woche in den im Schulhaus verteilten Ideen-Briefkästen gelandet sind. Anwesend ist in der Regel auch das Kind, das den Wunsch geäussert hat. Zusammen erörtert man Details und Realisierbarkeit. Christian Ochsner, der Schulsozialarbeiter, ist in der Nähe und kann bei Bedarf zu Rate gezogen werden. Manche Vorschläge, etwa das Installieren einer Rutschbahn im Pausenhof, müssen an die Schulleitung delegiert werden. Ist ja nicht ganz einfach und mit Kosten verbunden (wurde aber realisiert). Andere Ideen wie der Harry-Potter-Verkleidungstag waren vergleichsweise einfach zu erfüllen. Das machte allen Spass und gab den Schülerinnen und Schülern das Gefühl, etwas bewirken zu können. Im Ideenbüro entwickeln die jungen Beraterinnen und Berater Einfühlungsvermögen, Solidarität und lösungsorientiertes Denken. Ideenbüros sind etwa auch an den Primarschulen Theodor und St. Johann etabliert.
Yvonne Reck Schöni

Der Ausnahmetag im Bläsi

Ungescholten ein halbe Stunde zu spät kommen? Am Ausnahmetag der Primarschule Bläsi war das möglich. Zur hellen Begeisterung der Schülerinnen und Schüler, aber auch der Lehrpersonen. Diese freuten sich an der besonderen, ausgesprochen fröhlichen Stimmung, die an diesem Tag herrschte. Entstanden ist die Idee an einer Sitzung des Schülerinnen- und Schülerparlaments, das sich viermal jährlich trifft, um Anträge zu diskutieren, Konflikte zu lösen oder neue Ideen zu entwickeln. Leider, leider können nicht alle Ideen umgesetzt werden. Trotz allem Verständnis für die Wünsche muss die Schulleitung manchmal ihr Veto einlegen. Der Vorschlag etwa, den ganzen Tag über das Handy benutzen zu dürfen, wurde nicht angenommen. Dies, weil nicht alle Kinder eines besitzen und davon nicht nur nicht profitiert hätten, sondern unter Umständen auch ausgegrenzt worden wären, erklärt Schulleiterin Magdalena Mathys. Auch die Idee, den ganzen Ausnahmetag lang Süssigkeiten essen zu dürfen, wäre für eine «Gesundheitsfördernde Schule» problematisch gewesen. Wenn immer möglich wird aber den Ausnahme-Anträgen stattgegeben. «Die Kinder», so Mathys, «geniessen es, mitbestimmen zu dürfen, und finden diese Tage immer megatoll.
Yvonne Reck Schöni 

Sek Theobald Baerwart: Mitbestimmung im Unterricht

Fast immer, wenn Vinko Tolic mit einem neuen Thema beginnt, haben seine Schülerinnen und Schüler mitbestimmt. Sei es im Fach Bildnerisches Gestalten, Natur und Technik oder MINT. Der Lehrer an der Sek Baerwart ist überzeugt: Motivation und letztlich auch Lernerfolg sind viel grösser, wenn die Jugendlichen selber entscheiden durften, woran sie forschen oder mit welchen bildnerischen Mitteln sie ein Thema umsetzen. Tolic geht dabei sehr auf die Alltagsrealität der Jugendlichen ein. Sie sehen Dinge auf Youtube oder TikTok, interessieren sich für Graffiti oder Mangas und möchten solche Sachen dann selber ausprobieren. «Meine Aufgabe ist es dann, ihre Ideen mit dem Lehrplan 21 abzugleichen. Das gelingt fast immer», so Tolic.
Die Mitgestaltung fängt schon bei der Lernumgebung an: Die Schülerinnen und Schüler haben die Regeln im Lernatelier weitgehend selber festgelegt. Sie wollten dort auch eine Wand neu gestalten. Daraus hat sich ein BG-Auftrag entwickelt. Im Fach NT wollte ein Schüler, dessen Hobbies Fischen und Kochen sind, unbedingt eine Forelle sezieren. Antrag stattgegeben! Für sein Projekt hat er sich selber Lernziele gesetzt und die Beurteilungsform gewählt. So kam die Klasse zu einer spannenden (intrinsisch motivierten) Präsentation über das Innenleben einer Bachforelle. Spannend ist für Vinko Tolic, dass jede Klasse anders tickt. Was die einen mitreisst, finden andere langweilig. «Das erfordert Offenheit und Flexibilität. Ich kann nicht mit pfannenfertigen Unterrichtseinheiten kommen.» Belohnt wird sein Mehraufwand mit der Wissbegierde der Klasse. Und dem meist positiven Feedback. Denn auch das regelmässige Einholen eines Feedbacks ist für den Lehrer Teil eines partizipativen Unterrichts.
Yvonne Reck Schöni

An Gymnasien werden politische Themen wichtig  

An den Basler Gymnasien wird Partizipation gross geschrieben. Im Leitbild des Gymnasiums Kirschgarten etwa steht unmissverständlich: «Schulleitung und Lehrerschaft fördern den Schülerrat, indem sie ihm Freiräume, Rechte und Pflichten übertragen.» Diesem Grundsatz versucht Rektorin Anja Renold, so weit es geht, im Schulalltag gerecht zu werden. Auch was die Partizipation angeht, haben die Einschränkungen wegen Corona in den letzten Monaten leider einiges zum Erliegen gebracht, räumt die Rektorin ein: «Ich bin aber froh, dass es an unserer Schule einige Zugpferde gibt, die sich stark für die Schulgemeinschaft als Ganzes engagieren.» Als aktuelles Beispiel nennt sie die Bitte des Schülerrates, als Ausdruck einer LGBTIX-toleranten Schule einen Teil der Toiletten in genderneutrale zu verwandeln oder die Anschrift «Schüler*innen» zu verwenden. Auf Anregung des Schülerrates wurde am Eingang des Gymnasiums ein Container für die Entsorgung von Müll aufgestellt, da die Schülerschaft das Littering rund ums Schulhaus gestört hat. Und umweltbewusste Schülerinnen und Schüler pflegen den Schulgarten. Gemüse «gewachsen und geerntet am GKG» wird in der Mensa verwertet und schmeckt nach Renolds Erfahrungen hervorragend.
Peter Wittwer

Weitere Ideen …

An den Basler Volksschulen werden unzählige weitere partizipative Aktionen und Projekte gelebt und gepflegt. Und zwar aus den unterschiedlichsten Bereichen wie Zusammenleben, Gesundheit, Kultur, Sport und Bewegung, Umgebung oder Unterricht. Eine Auswahl:

> Pausenkiosk. Einen Verpflegungsstand organisieren und führen.
> Lesefüchse. In der Schulbibliothek Ausleihe und Rückgabe organisieren (vgl. BSB Nr. 3/2020). Mitsprache bei Neuanschaffungen.
> Flohmarkt. Einmal pro Jahr Dinge kaufen und verkaufen.
> Peace-Force®. Ein Streitlöse-Programm, das auf Grundlagen der Konflikttheorie aufbaut. Von der Klasse gewählte Streitschlichter und Streitschlichterinnen absolvieren ein Ausbildungsprogramm.
> Schulgarten. Klassen pflegen gemeinsam einen Gemüsegarten. Das Geerntete wird zusammen verwertet, gekocht, gegessen.
> Schulnetz 21. Schweizerisches Netzwerk gesundheitsfördernder Schulen. Viele Ideen mit partizipativem Ansatz.
> Lernclub. Schülerinnen und Schüler lancieren und gestalten selber Hausaufgabenhilfe.
> Sporttag. Klassendurchmischte Teams organisieren sich selber und entscheiden sich für eine Teamsportart.
> Unterricht. Mitsprache bei den Themen für Projektwochen, MNG-Unterricht, Klassenlektüre, Chor, Werken, Vorträge, Fasnachts-Sujet …
> Gotte/Götti. Die Älteren unterstützen die Jüngeren nach institutionalisiertem Vorgehen.

 

 

 

 

 

 

 

 

abgelegt unter: ,