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«Mein Monster frisst Seegurken!»

10.06.2021
Was haben das «Schiffli versenken»-Spiel und Digitalisierung gemeinsam? Sehr viel! Denn horizontal und vertikal mit Zahlen und Buchstaben markierte Felder dienen Menschen und Robotern als Orientierung im Raum. Auf spielerische Weise lässt sich Digitalität so unabhängig von elektronischen Geräten entdecken. Ein Besuch in der Primarschule Thierstein.
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Ein Raster und ein paar Zahlen und Buchstaben – und fertig ist die Seefahrerkarte auf dem Pausenhof!

Wasser, soweit das Auge reicht. Weit und breit keine Insel und kein Leuchtturm in Sicht, die als Orientierung dienen könnten. Was nun? «Monster!» lautet die Antwort. Sieben Monster, um genau zu sein, und ein jedes befindet sich in einem der 36 quadratischen Felder, die auf dem weitläufigen Pausenhof der Primarschule Thierstein aufgezeichnet sind und das weite Meer symbolisieren. Es ist Freitagmorgen, und die vier Mädchen und drei Buben aus der 1a haben ihre als Monster dienenden Jacken, Pullis oder Finken soeben auf einem der Felder platziert und kurz vorgestellt. «Mein Monster frisst Seegurken», erklärt etwa Valentin, während Enass‘ Ungeheuer gefährliche Haie zu verspeisen pflegt.

Die beiden Lehrerinnen Sara Cortellini und Mirjam Wagner verwenden an diesem Morgen «Digikult»-Materialien. Diese Sammlung von Unterrichtseinheiten dient dazu, die Schülerinnen und Schüler mit digitalem Denken vertraut zu machen, indem alltägliche Kulturtechniken wie «Einkaufen» oder «Dinge finden» in einfache Einheiten aufgedröselt und digitalisiert werden. Als Kombination von Buchstaben und Zahlen wird das weite Meer auf dem Pausenhof so definier- und fassbar.

1 bis 6 und A bis F: die Seefahrerkarte auf dem Pausenplatz
36 Felder und sieben Monster – es wird Zeit für den nächsten Schritt: Sara Cortellini und Mirjam Wagner schreiben in einer Ecke des Quadrats mit Kreide die Zahl 1 hin und fordern die Kinder zur Fortsetzung auf. Im Nu schreibt ein Kind nach dem anderen auf der horizontalen Achse fortlaufende Zahlen und auf der vertikalen die Buchstaben A bis F hin. Und schon lassen sich die Monster lokalisieren: Eines lauert auf Feld 3B, ein anderes auf 4C, ein drittes weit entfernt auf 5F. Rasch begreifen die Erstklässlerinnen und Erstklässler, dass dieses Raster der Orientierung dient. Von der quadratischen Meeresfläche auf dem Pausenhof ist es nur ein kleiner Schritt bis zur Seefahrer-Karte. Oder zur Einsicht, dass sich auch ein Roboter in einem gerasterten Raum orientieren kann. «Auch ein computergesteuertes System in einer Apotheke, das ein gewünschtes Medikament bereitstellt, funktioniert so», sagt Sara Cortellini, um der Schulblatt-Reporterin mit einem konkreten Beispiel den Link zum Alltag zu illustrieren.

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Digitalität mithilfe vertrauter Tätigkeiten und ganz ohne digitale Medien entdecken: das will «Digikult».

Kochrezepte im Kontext von Algorithmen
Entstanden sind die «Digikult»-Unterrichtsmaterialien während des Lockdowns im Frühling 2020. Initiiert wurden sie von Eltern und Lehrpersonen, die sich gemeinsam an die Arbeit machten. «Wir haben damals realisiert, dass unsere Kinder zwar mühelos gamen können, im Umgang mit Programmen wie Microsoft Teams oder Outlook aber rasch an ihre Grenzen stossen», erinnert sich Mario Kaiser. Der studierte Philosoph und Informatiker steht gemeinsam mit seiner Frau Corinna Virchow, die Germanistin ist, Medienwissenschafterin Julia Früh sowie den Primarlehrerinnen Mirjam Wagner und Sara Cortellini hinter «Digikult».

Digitalität mithilfe vertrauter Tätigkeiten spielerisch und ohne digitale Medien entdecken und dabei Schwellenängste abbauen: So lautet eines der Projektziele. Ebenso wie Zusammenhänge zwischen Alltäglichem und Digitalität sichtbar zu machen. «Eine Reihe von Lebensmittel etwa eröffnet unendlich viele Kombinationsmöglichkeiten, die nach gewissen Grundregeln – in diesem Fall Rezepten beziehungsweise Algorithmen – zubereitet werden können», sagt Mario Kaiser, um solche Zusammenhänge zu illustrieren. Daraus ist die Unterrichtslektion «Zwiebeln, Rezepte und Algorithmen» entstanden, in der Kinder die Parallelen zwischen Kochen und Programmieren sowie Rezepten und Algorithmen spielerisch und losgelöst von digitalen Medien erfahren.

Alltagssituationen hier, das Fach «Medien und Informatik» dort: Wie lassen sich den Schülerinnen und Schülern mit «Digikult»-Unterrichtseinheiten konkrete Bezüge zu Digitalität vermitteln? In der Primarschule Thierstein geschieht dies zum Beispiel mithilfe einer Schuhschachtel mit Einschub, die als Festplatte dient. Am Ende einer Lektion schreibt die Klasse wichtige Begriffe wie «Algorithmus» auf Kärtchen und schiebt sie in die Schachtel. So werden sie dort «gespeichert» – genau so wie auf der Festplatte eines eduBS-Books.

Zurzeit stehen auf der Digikult-Website Materialien für sieben Unterrichtseinheiten in vier thematischen Modulen zum kostenlosen Download zur Verfügung, weitere folgen. Die Materialien sind für die Primarstufe konzipiert und nehmen Bezug auf den Lehrplan 21. Finanziell unterstützt wird die Plattform von der Gebert Rüf Stiftung.

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Ob sich das Piratenschiff auf Feld F2 befindet? Sara Cortellini im Gespräch mit Enass und Valentin.

«Schiffli» versenken zu zweit
Die Schülerinnen und Schüler aus der 1a haben inzwischen ihre Monster eingepackt und sind vom Pausenhof ins Forschungszimmer gezügelt. Hier sitzen sie sich an Zweiertischen gegenüber. Die Trennwand zwischen ihnen dient nicht als Viren-, sondern als Sichtschutz. Denn jetzt ist «Schiffli versenken» angesagt. Auf einem Blatt Papier mit 36 quadratischen Feldern haben sie ein sich über drei Felder erstreckendes Piratenschiff, einen Zwei-Felder-Säbel und eine Ein-Feld-Schatzkiste «versteckt» und die Quadrate wieder horizontal mit Zahlen und vertikal mit Buchstaben versehen. Mit F2 versucht Enass ihr Glück. «Nein!», ruft Valentin von gegenüber. Und weiter geht’s. Die beiden raten, treffen, versenken und raten weiter, und sie freuen sich über jeden Treffer. Dann geht sie zu Ende, die Doppellektion Digitalität mit Kreide, Papier und Bleistift. «Was, schon vorbei?», wundert eines der Kinder. Es hat offensichtlich Spass gemacht.

Unterrichtsmaterialien und weitere Informationen gibt es unter www.digikult.ch.
 

Interessiert an «Digikult»?

«Keine Angst vor Informatik, denn dein Gerät ist nichts ohne dich!», lautet eine der Botschaften von «Digikult». Ohne kreative Menschen funktioniert auf Computern und Handys tatsächlich nichts. Dessen sollten sich die Schülerinnen und Schüler bewusst sein, betont das Digikult-Team. In Kindergarten und Primarschule brauche es indes nicht zwingend elektronische Geräte, um sich mit Digitälität vertraut zu machen. Auf Wunsch stellt das Projektteam Lehr- und Fachpersonen der Primarstufe «Digikult» vor. Der Einblick kann in einer Schule oder im Online-Format stattfinden. Interessierte wenden sich an Sara Cortellini, , +41 76 370 06 86.

Valérie Rhein (Text und Fotos)

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Wo seid ihr? Der Raster mit Zahlen und Ziffern hilft beim Finden.

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